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Swayze tanzt den Schwarzenegger

Die „Amerika-Trilogie“ des Staatstheaters Braunschweig geht in die zweite Runde. Diesmal wird ein Zitatsalat aus „Zurück in die Zukunft“, „Dirty Dancing“ und „Total Recall“ angerichtet, dem es an Schlüssigkeit leider mangelt

Von Jens Fischer

Das so anzüglich grazil aus der Hüfte kommende „Dirty Dancing“ auf den Staatstheaterspielplan zu setzen, das klingt nach Affront gegen den Kunstanspruch der Braunschweiger Institution. Gilt die Liebesschnulze mit Softporno-Tanzeinlagen doch als schmonzettiger Mädchenkram, tourt derzeit auch als nostalgisch umjauchztes Musical durch Europa (ab 15. 1. in Hamburg, ab 3. 3. in Bremen, am 9. 3. in Kiel).

Ein Stoff mit politischer Relevanz? „Das Kino ist der große Mythen-Produzent der letzten hundert Jahre gewesen“, sagt Dramaturg Alexander Kohlmann, der die „Amerika-Trilogie“ mit Regisseur Klaus Gehre konzipiert hat: „Filmbilder haben unser Bewusstsein geformt und sind tief in unserem kollektiven Gedächtnis eingebrannt.“

Grundgedanke: Die Bilder, mit denen Hollywood den Mythos des eigenen Landes inszeniert, sollen als Metapher der Geburt und Genese des Kapitalismus fungieren. Von bezaubernd schlauer Schrulligkeit ist die Ästhetik. Bereits im ersten Teil triumphierte sie. Sergio Leones Westernoper „Spiel mir das Lied vom Tod“ (Wiederaufnahme: 22. 12.) wird nacherzählt als Collage aus Schau-, Animations- und Videospiel. Statt starrer Bühnenbilder sind auf eine Leinwand projizierte Bewegtbilder zu sehen, live gefilmt in Spielzeugeisenbahnlandschaften, wo einige Szenen gleich mit Playmobil-, Barbiefiguren oder Handpuppen gespielt werden.

Zentraler Charakter des Films und der Theateradaption ist ein Investor, der die Eisenbahn und damit die sogenannte Zivilisation dem Pazifik entgegentreibt und einem Pistolen schwingen Cowboy ein Bündel Dollar vor die Füße wirft: „Das hier ist die stärkste Waffe der Welt.“ Zeitenwende: Zur Entfaltung von Macht ist nicht mehr der Colt, sondern das Geld notwendig. Wirtschaftsdeals lösen das Faustrecht, eine Unbarmherzigkeit die nächste ab. Dank solcher Szenen schaut man den Theaterkünstlern nicht nur beim Bildermachen, sondern auch beim szenischen Verfertigen eines Gedankens zu.

Optisch funktioniert das auch bei „Dirty Dancing“ prima mit rosa eingefärbten Sixties-Effekten. Aber auch mit klassisch gespielten Dialogszenen wird der Ideologie des tanzfidelen Erinnerungsfilms nachgespürt, „in dem aus der Perspektive der späten 1980er-Jahre von einem Amerika geträumt wird, in dem die Welt noch in Ordnung war, in dem Präsident Kennedy noch lebte und der Vietnam-Krieg, Watergate und all die anderen Verwerfungen noch in der Zukunft lagen“, so Kohlmann.

Ideologie nachgespürt

Deswegen heißt der Abend auch noch wie ein anderer Film: „Zurück in die Zukunft: Dirty Dancing“. Wie schon im Western leben alle männlichen Figuren ihren amerikanischen Traum. Johnny ist aus ärmlichen Verhältnissen zum Tanzlehrer in einem Urlaubsresort aufgestiegen und gewinnt die Arzttochter Baby für sich. In der Braunschweiger Darstellung durch Isabell Giebeler ist dies nicht das verführte unschuldige Mädchen, sondern eine selbstbewusste Frau von heute, die weiß, was sie will.

Aber das Lebe-deinen-Traum-Idyll weist auch erste Risse auf. „Nicht alle sind gleich in dieser Gesellschaft, nicht alle können es schaffen. Den wohlhabenden Gästen der Tanzdarbietungen stehen prekär beschäftigte Saison-Arbeitskräfte gegenüber, die möglichst unter sich bleiben sollen. Die Ausgegrenzten eben, die Niedriglöhner, die Anderen, die heute nicht diejenigen Präsidenten und Parteien wählen, die wir uns wünschen“, so Kohlmann.

Aspekte, die von der Filmwissenschaft auch in der Coming-of-Age-Story entdeckt wurden. Liest Baby nicht zu Beginn des Films ein Buch über die Misere der Bauern? Auf der Bühne ist es nun „Fänger im Roggen“. Später weist sie ein Exemplar von Ayn Rands „The Fountainhead“ zurück, das ihr Kellner Robbie andrehen will, quasi eine Personifikation der kapitalistischen Kampfschrift – rücksichtslos geht er seinen Weg, schwängert eine Frau, weist ihr Ansinnen zurück, sich um Kind oder Abtreibung finanziell zu kümmern.

Sodass Baby ihren Papa um Hilfe bittet, der dabei vom liberalen Vorbild zum beleidigten Moralisten mutiert: Schwangerschaftsabbruch und Liebe über Standesgrenzen hinweg seien inakzeptabel. Gehre inszeniert das ebenso deutlich wie die Tatsache, dass nicht nur romantische Empfindung gepflegt, sondern Sex praktiziert werden will. Baby räkelt sich an einer Rutschstange auf die Bühne, schmeißt zum synthetisch wabernden Soundtrack ihren Kopf lustvoll zurück, wenn sie von gierigen Männergriffeln an Schenkeln und Brüsten befingert wird.

Cineastischer Zitatsalat

Zur großen Tanzszene mit Johnny sind auf der Leinwand Nahaufnahmen zu sehen, die zwei Schauspieler im Off drehen: Finger lustwandern über Haut, die an Haut reibt. Aber anstatt nun mit diesen Szenen dem Bröseln des puritanisch kapitalistischen Selbstverständnisses in den frühen 1960er Jahren zu folgen, wird mit Verweisen auf den fast 30 Jahre alten Kino-Blockbuster „Total Recall“ eine weitere Erzählebene eingezogen. In dem SF-Klassiker bucht Arnold Schwarzenegger als Bauarbeiter Quaid das Ego-Trip-Paket für einen virtuellen Urlaub, will in einer interaktiven 3-D-Simulation mal jemand Tolles an seinem Sehnsuchtsort Mars sein – und befreit den Planeten als heldenhafter Rebell von einem Superkapitalisten.

In Braunschweig ist es nun Tanzlehrer Johnny (ideal gegen den Schwarzenegger- und Patrick Swayze-Typ besetzt: Götz von Ooyen), dem die Erinnerungen implantiert werden. Seine illusionierten „Dirty Dancing“-Fragmente vermischen sich auf der Bühne mit Szenesplittern der Marsmission Quaids und dessen Prollalltag auf Erden. Folgen kann dem Zitatensalat wohl nur, wer zumindest „Total Recall“ gut erinnert. Denn die Bühnenfiguren und Plots werden nicht entwickelt, nur zitiert. Was das mit Gesellschaftsanalyse zu tun hat, verschwimmt zusehends.

Sodass zum Finale Schauspieler Roman Konieczny den Programmzetteltext des Regisseurs rezitiert. Dort behauptet Gehre, Demokratie und Marktwirtschaft hingen untrennbar zusammen, weil sie das Individuum autonom und in die Verantwortung setzten, den freien Markt der politischen Ansichten, Produkte und Partner auszuhalten. Also zu ertragen, was man selbst nicht gewählt habe.

„Demokratie beginnt im Aushalten von Minderheiten“, fasst Konieczny zusammen und formuliert Gehres neue, alte Utopie: „Vielleicht entdecken wir dann sogar etwas im anderen, was wir nicht kennen. Was wir nicht können. Tanzen zum Beispiel. Nichts anderes ist letztlich der amerikanische Traum: Jeder ist groß. Schön. Bemerkenswert.“ Dass mit solchem Schlussvortrag erklärt werden muss, was nicht so klar herausgearbeitet wurde, zeigt, dass es „Dirty Dancing“ an der inneren Logik des ersten Teils der Trilogie mangelt.

Für eine Fortsetzung sichtet das künstlerische Team gerade neue Filme, denn, so Kohlmann, „ein möglicher dritter Teil würde etwas mit eben der Welt zu tun haben, wie wir sie dann zum Probenbeginn vorfinden“. Welcher Blockbuster passt zu Trumps Zurück-in-die-Zukunft des kapitalen Narzissmus?

„Spiel mir das Lied vom Tod“: Sa/So, 22./23. 12., 20 Uhr; „Zurück in die Zukunft: Dirty Dancing“: Sa, 29. 12., Mo, 31. 12. + So, 6. 1., 20 Uhr, Staatstheater Braunschweig/Aquarium

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