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Die Unzufriedenheit im Job wird immer größer

Im vergangenen Jahr hat die Arbeitnehmerkammer Bremen so viele Beschäftigte in Rechtsfragen beraten wie nie zuvor. Vergütung und befristete Arbeitsverhältnisse seien Themen, die am häufigsten nachgefragt werden

Von Eiken Bruhn

So viele Menschen wie noch nie haben die Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen im vergangenen Jahr aufgesucht. „Die Unzufriedenheit der Beschäftigten wächst trotz der guten Konjunktur“, sagte am Freitag Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer bei der Vorstellung der Beratungsbilanz für das Jahr 2018.

Die meisten Ratsuchenden – insgesamt 47.100 arbeitsrechtliche Beratungen gab es – hätten Fragen zum Thema Vergütung gehabt, so Schierenbeck. „Das liegt aus unserer Sicht an der abnehmenden Tarifbindung, nur jedem zweiten Arbeitsverhältnis im Land Bremen liegt ein Tarifvertrag zugrunde.“ Vor 20 Jahren seien es noch über 70 Prozent gewesen.

Ohne Tarifbindung komme es zu intransparenten Gehaltsstrukturen und ungerechter Bezahlung – und Frauen seien davon häufiger betroffen als Männer. „Sie arbeiten häufiger in Dienstleistungsbranchen, in denen es keine Tarifbindung gibt“, sagte Schierenbeck. Deshalb kämen Frauen vermutlich auch häufiger in die Beratung als Männer. Ihr Anteil an den Beschäftigungsverhältnissen beträgt 44 Prozent, aber 58 Prozent der Ratsuchenden seien Frauen.

Ein anderes häufig wiederkehrendes Thema seien unsichere Arbeitsverhältnisse, sagte Schierenbeck. Vier von zehn neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnissen würden befristet – und die Hälfte davon ohne einen Sachgrund wie Elternzeit. Eine Befragung der Arbeitnehmerkammer im Jahr 2017 ergab, dass der Anteil der befristet Beschäftigten besonders hoch ist in sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen (25 Prozent) und Reinigungsberufen (31 Prozent). Und: Menschen mit Migrationshintergrund haben fast doppelt so oft einen befristeten Arbeitsvertrag wie Menschen ohne Migrationshintergrund.

Viele Fragen hatten die Ratsuchenden nach Angaben von Kaarina Hauer, Leiterin der Rechtsberatung, auch zum Thema Arbeitszeit. Die Beschäftigtenbefragung hatte gezeigt, dass 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten gern reduzieren und ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten aufstocken möchte. Außerdem sei vielen nicht klar, was alles zur Arbeitszeit zählt – beispielsweise Umziehen und Aufräumen.

Weil die Arbeitnehmerkammer zuletzt der steigenden Nachfrage vor allem auch nach der Beratung zur Einkommenssteuer nicht mehr gerecht werden konnte, baut sie in der Innenstadt ihren Standort aus. In zwei Jahren sollen dann mehr Räume zur Verfügung stehen und neue Rechtsberater*innen eingestellt werden. Bisher kann die Arbeitnehmerkammer jährlich rund 25.000 Steuererklärungen erstellen. Beratungsgespräche zum Steuerrecht gab es 35.700 im vergangenen Jahr.

Der Ausbau der Beratungskapazitäten sei möglich, sagte Schierenbeck, weil die gute Konjunktur dafür sorge, dass so viele Menschen im Land Bremen Arbeit hätten – und diese der Arbeitnehmerkammer voraussichtlich 17 Millionen Euro an Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen beschert hätten.

Neben der arbeits- und steuerrechtlichen Beratung bietet die Arbeitnehmerkammer auch eine öffentliche Rechtsberatung für Menschen mit geringem Einkommen an. Hier stünden mietrechtliche Fragen ganz oben auf der Agenda, sagte Kaarina Hauer. „Den Beratern und Beraterinnen ist aufgefallen, dass es häufig um Mängel geht, die vom Mieter angemahnt werden.“ Anders als früher könnten die Betroffenen aber wegen des angespannten Mietmarktes nicht mehr so einfach umziehen, wenn sich Vermieter*innen weigerten, die Mängel zu beseitigen. „Sie finden keine neue Wohnung“, so Hauer.

Bei der Arbeitnehmerkammer sind alle im Land Bremen abhängig Beschäftigten – außer Beamt*innen – zahlende Pflichtmitglieder. Derzeit handelt es dabei um rund 390.000 Personen.

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