piwik no script img

das portraitDie 85-jährige Pu Wenqing hat protestiert – nun ist sie verschwunden

„Huang Qi hat nichts verbrochen, fordere sofortige Freilassung“ steht auf dem Schild Foto: privat

Seit der Verhaftung ihres Sohnes im November 2016 kämpft die 85-jährige Pu Wenqing unermüdlich für seine Freilassung. Das wurde ihr nun wohl zum Verhängnis: Seit über zehn Tagen ist sie nicht auffindbar. Laut Informationen von Menschenrechtsaktivisten soll sie in ihrer Heimatprovinz Sichuan unter Hausarrest gestellt worden sein.

Ihr Sohn, Huang Qi, wurde von Medien als Chinas erster „Cyberdissident“ tituliert. Vor zwanzig Jahren hat er eine Homepage namens „64 Tianwang“ gegründet, eine Anspielung auf den 4. Juni 1989, als das Militär einen Demokratieaufstand am Platz des Himmlischen Friedens in Peking brutal niedergeschlagen hat.

Auf der Onlineplattform, die von den Zensurbehörden blockiert ist und nur mit einer sogenannten VPN-Verbindung zugänglich ist, hat der 55-Jährige über Korruptionsfälle und Menschenrechtsverletzungen berichtet.

Bereits 2008 wurde Huang zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, nachdem er sich mit den Eltern von verstorbenen Kindern getroffen hatte, die während eines Erdbebens in der Sichuan-Provinz umgekommen waren. Ihre Todesfälle gelten als sensibles Thema für die kommunistische Partei, da Korruption und Pfusch am Bau von Schulgebäuden zu der Tragödie geführt haben sollen.

Im November 2016 erhielt Huang für seinen Aktivismus eine Auszeichnung von Reportern ohne Grenzen. Nur wenige Wochen später wurde er laut Angaben von Amnesty International in der Stadt Chengdu verhaftet.

Bis heute wartet er in einem Internierungslager auf seinen Prozess. Am 10. Dezember wurde zwar eine erste Anhörung angesetzt, die aber ohne Begründung kurzfristig wieder abgesagt wurde. Die genaue Rechtslage ist unklar: Huang wird vorgeworfen, Staatsgeheimnisse verraten zu haben – eine diffuse Anklage, die bei der Verhaftung von oppositionellen Dissidenten üblich ist.

Schon seit November 2016 konnte ihn seine Mutter nicht mehr besuchen. Pu Wenqing hat auf der Kommunikationsplattform Wechat und in Medieninterviews wiederholt angeklagt, dass ihr Sohn in Haft misshandelt und dass ihm trotz einer schwerwiegenden Leberkrankheit im Endstadium die dringend notwendige medizinische Behandlung untersagt werde. Am 7. Dezember reiste sie mit dem Zug nach Peking, um sich dort bei den Behörden erneut für die Freilassung ihres Sohnes einzusetzen. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurde sie noch in der Bahnhofshalle von Zivilpolizisten umzingelt. In einem Video auf Twitter ist zu sehen, wie die Seniorin auf dem Boden liegend vernommen wird. Sie soll danach auf eine Polizeistation gebracht worden sein. Seither ist ihr genauer Verbleib unklar.

Im Oktober veröffentlichte sie ein Video, in dem sie sich sichtlich mitgenommen an die Öffentlichkeit wendet: „Ich bin bereits 85 Jahre alt. Ich möchte meinen Sohn sehen. Wenn ich ihn nur noch einmal sehen könnte, dann kann ich ohne Bedauern sterben.“ Fabian Kretschmer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen