Ein Volk in Bewegung

Das Kino Arsenal zeigt Gillo Pontecorvos Filmklassiker „Schlacht um Algier“ über den Kampf um Unabhängigkeit in Algerien, flankiert von einem Dokumentarfilm über dessen Geschichte

Szene aus „La Battaglia di Algeri“ Foto: Fonds personnels de la famille Pontecorvo

Von Ekkehard Knörer

Dies sei die „erste algerische Großproduktion“, heißt es im Vorspann. Wenige Jahre nach der Unabhängigkeit gedreht, gewann diese Produktion, „Schlacht um Algier“, 1966 in Venedig den Goldenen Löwen und durfte in Frankreich noch fünf Jahre lang nicht in den Kinos gezeigt werden. Denn der Film schildert den blutigen Kampf der FLN gegen die französische Kolonialmacht in den fünfziger Jahren mit vielen unschuldigen Opfern von Bombenanschlägen, aber er zeigt auch den Kampf der Kolonialmacht gegen die Unabhängigkeitskämpfer, mit Folter und brutaler Gewalt.

Keine Frage, dass „Schlacht um Algier“ auf der Seite des Unabhängigkeitskampfes steht. Gillo Pontecorvo, der italienische Regisseur, war in Mailand selbst im Widerstand gegen die Nazis gewesen, als Kommunist, der der Sowjetunion nach dem Einmarsch in Ungarn, nie jedoch dem Marxismus abschwor. Wobei es zur bitteren Ironie der Geschichte gehört, dass der wichtigste Militär in den Kämpfen um Algier, Colonel Yves Godard – der Colonel Mathieu (Jean Martin) des Films ist in weiten Teilen nach ihm modelliert –, selbst Mitglied der Résistance gegen die Nazis war. Nun steht er auf der Seite der Unterdrücker, wird später sogar – das erzählt der Film nicht mehr – einen erfolglosen Putschs der Generäle gegen De Gaulle anführen, zum Tode verurteilt und später begnadigt werden.

Dasselbe ist Yacef Saadi geschehen, einem der Anführer des Widerstands in Algier. Er wurde gefasst, erst zum Tod und dann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In der Gefangenschaft hat er seine Erinnerungen an die Kämpfe geschrieben, auf denen das dann auch für den Oscar nominierte Drehbuch von Pontecorvo und Franco Solinas beruhte. Saadi kommt nicht nur in dem Film vor, er spielt sich sogar selbst. Ja mehr noch, er hat den Film koproduziert, war später langjähriges Mitglied der aus der FLN hervorgegangenen Partei im algerischen Parlament und kämpft bis heute gegen von französischer Seite gestreute Gerüchte, er habe nach seiner Gefangennahme den Aufenthaltsort seines Mitstreiters Ali Ammar verraten.

Ali Ammar, genannt Ali la Pointe, kann sich nicht selbst spielen: Er wurde, weil er sich nicht ergeben wollte, mit drei anderen Kämpfern in die Luft gejagt. Pontecorvo hat seine Rolle wie die der anderen Protagonisten auf algerischer Seite mit Laien besetzt – Brahim Haggiag als Ali machte das allerdings so brillant, dass er in den folgenden Jahren noch ein paar kleinere Rollen in großen Filmen, etwa Luchino Viscontis „Der Fremde“, bekam. Die Besetzungspolitik liegt ganz auf der ästhetischen Linie des Films, der sich in vielen Hinsichten den Anschein des Dokumentarischen gibt.

Ganz buchstäblich filmt Pontecorvo ein Volk in Bewegung. Dafür werden alle Mittel des Filmischen ihrerseits mobilisiert. Die äußerst unruhige Kamera von Marcello Gatti begibt sich mitten in die Straßen von Algier, eilt durch die Gassen der Kasbah, zeigt Gruppen und Massen in Auflösung und stellt ganz bewusst keine Übersicht her. „Schlacht um Algier“ steht mit seiner Unzahl vor Ort gedrehter Außenaufnahmen sehr klar in der Tradition des Neorealismus, der sich als Zuwendung zu einer Wirklichkeit verstand, die sich in aufwendigen Studioproduktionen so nicht herstellen ließ.

Pontecorvo ist freilich ein Regisseur, der seine Mittel sehr bewusst, manchmal auch skrupellos einsetzt. Gezielt sucht er den Thrill, die Bombenattentate sind auf tickende Spannung hin inszeniert: Minutiös wird die Vorbereitung der Attentäterinnen verfolgt, ihre Passage der Kontrollposten ist nervenaufreibend. Für eine Kamerafahrt auf das Gesicht eines Opfers in seinem sechs Jahre davor entstandenen KZ-Film „Kapò“ wurde Pontecorvo von Jacques Rivette der filmischen und ethischen „Niedertracht“ geziehen. Auch in „Schlacht um Algier“ gibt es gleich zu Beginn zum Geräusch einer fallenden Guillotine einen grenzwertigen Reißzoom ins Gesicht eines Häftlings.

Morricones Industrial

Dennoch oder deswegen ist das ein mitreißender Film. Meisterhaft verbindet Pontecorvo die Mobilisierung der Affekte mit dem Quasi-Dokumentarischen. Auch die Tonspur ist auf Wirkung hin bearbeitet, in der präzisen Nachsynchronisation ebenso wie im elegischen Pathos der Musik Ennio Morricones, die Pontecorvo gelegentlich mit einem geradezu industriellen Klopfen und Stampfen konterkariert. Dazu kommt aber eine im Kern sehr nüchterne, geradezu strukturelle Analyse der Strategien des Widerstands wie seiner Unterdrückung. All das scheint schwer vereinbar. Wie „Schlacht um Algier“ es dennoch vereint, macht den Film zum Klassiker, der er ist.

„La battaglia di Algeri“ (1966, Regie: Gillo Pontecorvo), 18. Dezember, „‚La bataille d‘Alger‘. Ein Film in der Geschichte“ (2017, Regie: Malek Bensmail), 19. Dezember, beide Kino Arsenal, je 20 Uhr