Die Technik im Leib

FORTSCHRITT Was tut sich gegenwärtig an der Mensch-Maschinen-Schnittstelle? „Mensch 2.0 – Die Evolution in unserer Hand“, ein etwas disparater Dokumentarfilm von Alexander Kluge und Basil Gelpke, erkundet’s

Sehr gerne hätte man mehr über die Rolle der Rüstungsindustrie erfahren

VON THOMAS KLEIN

Die Zukunft von gestern ist heute Gegenwart. Was früher klassische Szenarien der Science-Fiction waren, rücken Wissenschaft und Technik inzwischen in greifbare Nähe. Die Raumfahrt ist zwar ins Stocken gekommen, aber sonst scheint bald fast alles möglich, gleich ob Computer, Internet und „smarte“ Mobiltelefone, Gen-Analyse, künstliche Gelenke, Cochlea-Implantate für die Ohren oder Lasikoperationen für die Augen. Wo verläuft die Trennlinie zwischen Mensch und Maschine? Wie viel Intelligenz braucht ein Gerät, um eigenes, ernst zu nehmendes Bewusstsein zu entwickeln? Wann hört ein Mensch nach technischen Ein- und Umbauten auf, ein Mensch zu sein? Derlei Schlüsselfragen umwehen die abendfüllende Dokumentation „Mensch 2.0 – Die Evolution in unserer Hand“ von Alexander Kluge und Basil Gelpke.

„Mensch 2.0,“ der auch als Teil der „Aktion Mensch“-Filmreihe „überall dabei“ durch Deutschland tourt, ist dabei im eigentlichen Sinne weder ein Film noch eine echte Zusammenarbeit der beiden Grübler und Aufklärer. Es ist zweifelhaft, ob sich Kluge, 80-jähriger Vordenker des Neuen Deutschen Films und mit seinen dctp-Formaten intellektueller Stolperstein im Privatfernsehen, und der Schweizer Dokumentarfilmer Gelpke („A Crude Awakenig“, 2006), bei der Entstehung von „Mensch 2.0“ begegnet sind.

Denn offenbar ist das, was jetzt in die Kinos kommt, nur die Montage aus zwei deutlich längeren Produktionen. Seit etwa anderthalb Jahren ist eine zwölf-stündige „Mensch 2.0“-DVD-Box im Handel, die Gelpkes Doku „Mensch – Maschine – Mensch“ und Kluges „Die Auswanderung des Denkens aus dem Gehirn“ enthält. Beworben wird das Set mit dem schönen Satz „Ein Gegenpol zur Ungeduld der Medien: Komplexe Sachverhalte ruhig, gründlich und zeitintensiv dargestellt.“ Von diesem Anspruch bleibt in der Zwei-Stunden-Version leider wenig übrig.

Besonders Alexander Kluges kulturwissenschaftliche Passagen kommen zu kurz. Gespräche mit Frank Schirrmacher, Anselm Kiefer, Hans Magnus Enzensberger, Michel Serres, dem Performance-Künstler Stelarc oder Helge Schneider (in Wehrmachtsuniform über „Eier organisieren an der Invasionsfront 1944“) bleiben Fragmente. Die für Kluges TV-Formate typischen Collagen, Animationen und Texttafeln (Leibniz: Der organische Körper als göttliche Maschine) wirken wie verspielte Unterbrechungen des Programms.

Basil Gelpkes eher nüchtern-journalistische Untersuchungen und Interviews zu Kybernetik, Robotik und Bewusstseinsforschung stehen im Vordergrund. Gelpke lässt Akademiker, Designer und „Transhumanisten“ zu Wort kommen, er zeigt Bastler wie Hiroshiro Ishiguro („Praktische Roboter interessieren mich nicht“) und Nasa-Experimente für eine Mars-Mission.

Es geht dabei auch um praktische, konkrete Anwendungen wie die Entwicklung von Neuro-Prothesen, mit denen Schlaganfallpatienten und querschnittsgelähmte Menschen mit der Kraft ihres Geistes komplexe Gerätschaften, künstliche Arme oder Beine, steuern sollen. Eher irritierend wirken hingegen die Pläne der Terasem-Bewegung, die an der Übertragung menschlichen Bewusstseins auf Maschinen arbeitet, oder die Ausführungen des Gerontologen Aubrey de Grey („Altern ist heilbar!“).

Über Schlaglichter kommt diese Fassung von „Mensch 2.0“ selten hinaus. Nur kurz sieht man den „Iron-Man“-Anzug des Waffensystementwicklers Raytheon, ein aufwendiges Exo-Skelett für den Supersoldaten der Zukunft, gerne hätte man mehr über die Rolle der Rüstungsindustrie erfahren; der technische Fortschritt wird zuerst auf Rüstungsmessen und Schlachtfeldern auftauchen. Doch dem nachzugehen, fehlte hier offenbar die Zeit, möglicherweise ist das in der Langfassung ein Thema, man weiß es nicht. Zurück bleiben nach knapp zwei Stunden viele disparate Eindrücke und die vage Ahnung, dass hier Kinowerbung für Heimunterhaltung betrieben wird. Eine faszinierende, aber letztlich unbefriedigende Erfahrung.

■ „Mensch 2.0 – Die Evolution in unserer Hand“. Regie: Alexander Kluge, Basil Gelpke, Dokumentarfilm, Deutschland/Schweiz 2011, 108 Min.