: Feuer im nuklearen Teil
Der Brand in der Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen war schwerwiegender als zunächst gedacht. Grüne und Bürgerinitiativen drängen auf eine Stilllegung der Fabrik
Von Reimar Paul
Der Brand in der Brennelementefabrik in Lingen am vergangenen Donnerstag war weit schwerwiegender als gedacht. Entgegen ursprünglichen Angaben brach das Feuer doch im nuklearen Bereich der Anlage aus. Und es handelte sich auch nicht nur um einen „Kleinbrand“ auf einer Fläche von 40 mal 40 Zentimetern, sondern ein ganzes Labor brannte weitgehend aus. Ob nicht doch radioaktive Stoffe freigesetzt wurden, ist unklar.
Die Betreiberfirma Advanced Nuclear Fuels (ANF) steht wegen Vertuschungsvorwürfen unter Druck. Atomkraftgegner drängen auf eine Stilllegung der Fabrik. Sie wollen ihrer Forderung am heutigen Donnerstag mit einer Kundgebung in Lingen Nachdruck verleihen. Das Niedersächsische Umweltministerium hatte am Dienstag im Landtag über den Brand und den Stand der Ermittlungen informiert, am gestrigen Mittwoch wollte sich auch eine Arbeitsgruppe im Bundesumweltministerium mit dem Vorfall befassen.
So viel ist inzwischen bekannt: Eine Verpuffungsexplosion hat das Feuer ausgelöst. Verdampfte Natronlauge, Aluminium und Wasser hatten demnach in dem betroffenen Labor ein brennbares Gas gebildet, das sich an der Luft entzündete. In dem Labor wird angeliefertes Uranhexafluorid auf seine Qualität überprüft. Uranhexafluorid (UF6) ist eine flüchtige, leicht radioaktive und äußerst giftige Verbindung aus Uran und Fluor, die in der Uran-Anreicherung und Brennelementeproduktion eingesetzt wird.
„Fehlinformationen durch Missverständnis“
ANF räumte inzwischen ein, dass der nukleare Teil der Brennelementefabrik betroffen war. Frühere Fehlinformationen seien durch ein Missverständnis entstanden. Der Brand war am Donnerstagabend vergangener Woche gegen 19.45 Uhr losgegangen. Wegen starker Rauchentwicklung wurde das betroffene Gebäude umgehend evakuiert. Rund 150 Feuerwehrleute waren im Einsatz, sie brachten das Feuer nach anderthalb Stunden unter Kontrolle. Mehrere Anlagenbereiche sind seitdem außer Betrieb.
Die Brennelementschmiede ist fast 40 Jahre alt und die einzige Fabrik dieser Art in Deutschland. Ebenso wie die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau ist sie vom deutschen Atomausstieg ausgenommen. Beide Anlagen haben unbefristete Betriebsgenehmigungen. Sie beliefern AKW in mehreren europäischen Ländern – auch die wegen Rissen in den Druckbehältern und zahlreicher Störfälle besonders umstrittenen Reaktoren Doel 1 und 2 in Belgien erhalten ihre Brennstäbe ausschließlich aus Deutschland.
In der Brennelementefabrik wird Uranhexafluorid zunächst in Uranoxid umgewandelt, zu Pulver gestampft und zu sogenannten Pellets gepresst. Diese werden dann auf bestimmte Abmessungen geschliffen, in Abhüllrohre gefüllt und zu Brennelementen montiert. Außerdem gibt es auf dem Gelände Lagerbereiche für die fertigen Brennelemente, für Uranhexafluorid und für radioaktive Abfälle.
Zuletzt gab es in Lingen bereits andere meldepflichtige Ereignisse. Anfang November war in einem Reaktionsbehälter in der Trockenkonversionsanlage eine Fehlfunktion in der Wasserdampfversorgung aufgetreten. Am Dienstag vergangener Woche wurden nach Angaben des niedersächsischen Umweltministeriums im selben Anlagenteil Risse entdeckt.
Grünen wollen Fabrik dauerhaft stilllegen
Mehrere der bisherigen Darstellungen des Brandes hätten sich als falsch erwiesen, sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Miriam Staudte. Auf Richtigstellungen warte die Öffentlichkeit bis heute. Es sei „inakzeptabel, wie die Betreiber mit dem Vorfall umgehen“. ANF ist eine Tochter des französischen Atomkonzerns Framatome, der mehrheitlich dem französischen Staat gehört. Derzeit sind in der Fabrik rund 300 Arbeitnehmer beschäftigt, etwa 80 arbeiten in dem zurzeit geschlossenen Bereich.
Die Grünen wollen erreichen, dass die ganze Fabrik dauerhaft geschlossen wird. „Nur eine stillgelegte Brennelementefabrik ist eine sichere Anlage“, so Staudte. Eine Stilllegung sei rechtlich möglich, zum Schutz vor Strahlenrisiken müsse der Atomausstieg endlich auch auf die Brennelementeherstellung ausgeweitet werden. Der Bundesrat und die Umweltministerkonferenz der Länder hatten sich im vergangenen Jahr dafür ausgesprochen, die Anlage in Lingen und die Urananreicherungsfabrik im westfälischen Gronau abzuschalten.
Gerd Otten, Vorsitzender des Elternverein Restrisiko Emsland, bezweifelt die Darstellung von ANF, es sei bei dem Brand keine Radioaktivität freigesetzt worden. „Mit den vielen Störfällen der letzten Zeit hat die Firma bewiesen, dass ein sicherer Betrieb, was auch immer das heißen mag, nicht möglich ist“, erklärte er. „Seit Jahren beliefert Lingen vor allem die störanfälligsten Atomkraftwerke im benachbarten Ausland – von den belgischen Rissereaktoren Tihange und Doel bis zu den französischen Pannenmeilern Fessenheim und Cattenom“, sagt Christina Burchert vom Arbeitskreis Umwelt Schüttorf. „Nun erweist sich die Brennelementefabrik selbst als enorme Gefahrenquelle für die Region.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen