Kommentar von Dominic Johnson über die Revolte im Sudan: Die Wut der 99 Prozent
Wie war das noch mal mit dem angeblichen Siegeszug der Autokraten? Aus dem Arabischen Frühling, so lauten die gängigen internationales Analysen, ist entweder dauerhaftes Chaos geworden wie in Libyen und Jemen oder eine neue finstere Diktatur wie in Ägypten. Oder beides, wie in Syrien. Das brave kleine Tunesien gilt als die Ausnahme, die die Regel bestätigt, aber auch nur so lange, wie man den Frust der Bevölkerung ignoriert, der sich auch dieser Tage wieder in Unruhen Bahn bricht.
Weitgehend in Vergessenheit geraten ist, was die Menschen in den Monaten des revolutionären Überschwangs in der arabischen Welt tatsächlich auf die Straße trieb und was seine Fortsetzung in zahlreichen anderen Weltregionen fand: die Wut darüber, immer rechtloser und ärmer zu werden, während die eigenen Eliten sich immer korrupter und protziger gebärden. In dem Moment, in dem Autokraten nicht mehr nur mit Gewalt Gefügigkeit erzwingen, sondern sich selbst am globalisierten Wirtschaftssystem laben und dabei ungeniert Klüngel- und Vetternwirtschaft betreiben, wächst in den anderen 99 Prozent der Bevölkerung eine Einsicht, die in die Revolte führt: Sie selbst werden nie an den Früchten der Reichtümer teilhaben können, die sich rings um sie herum in Glitzerpalästen, Luxusmalls, Protzvillen und Hightech-Unterdrückungsapparaten manifestieren. Und das gilt heute genauso wie im Revolutionsjahr 2011.
Diesmal ist es das korrupte Gewaltsystem von Sudans Diktator Omar Hassan al-Bashir, gegen das sich das Volk auflehnt. Völkermord in Darfur und Kriegsführung mit chemischen Waffen gegen Rebellen – das sind Verbrechen, aber sie treffen Minderheiten. Doch wenn die Wirtschaft zusammenbricht, trifft es alle. Sudans Regime nimmt Milliardenkredite auf, verprasst die Gelder und versucht dann den Schuldendienst über Steuer- und Zollerhöhungen zu finanzieren. Lebensmittel werden unerschwinglich, während in Khartum Hochhäuser sprießen. Das kann nicht gut gehen.
Für Deutschlands Regierung gilt Bashirs Gewaltapparat als Partner beim Schließen der Fluchtrouten aus dem Horn von Afrika ans Mittelmeer, und Assads militärische Stärkung in Syrien gilt manchen als Schritt zur Stabilisierung. Auch das kann nicht gut gehen. Wer Diktatoren stützt, produziert Fluchtursachen. Ganz abgesehen vom immensen Leid, das die betroffenen Menschen erdulden und gegen das sie sich früher oder später erneut auflehnen. Jede Diktatur ist vergänglich.
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