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Olivenschlieren und Öllachen

Fließen zwischen Analogem und Digitalem: Die Hannoveranerin Delia Jürgens, diesjährige Sprengel-Preisträgerin, zeigt „fragmentarische Landschaften“

Von Bettina Maria Brosowsky

Zum Wesen der Kunst gehört es, die eingeschriebenen Sichtweisen, Formen, Techniken und Medien immer wieder infrage zu stellen. Zur professionellen Selbstverpflichtung jede*r Kunstschaffenden scheint es folglich zu gehören, sich permanent auf Neuland vorzuwagen. Die Hannoveranerin Delia Jürgens, die gerade den diesjährigen Sprengel-Preis für bildende Kunst erhalten hat und im gleichnamigen Museum in Hannover eine Ausstellung zeigt, fügt dem Kanon der etablierten künstlerischen Ausdrucksformen nun eine weitere hinzu: die Materialisierung.

Diese ist mindestens ein Zwitterwesen, denn sie spielt zum einen mit der Fläche als Träger eines Bildmotivs, klassisch wie die Malerei. Zum anderen ist sie der Installation verwandt und deren dreidimensionalem Aufbruch in den Raum. Sie ist aber auch flüchtig, arbeitet mit zeit- und situationsbedingten Veränderungen im und am Objekt und wird am Ende einer Ausstellung in wiederverwendbare Komponenten zerlegt. Delia Jürgens schafft somit kein „Werk“, das sich ein*e Sammler*in einfach mit nach Hause nehmen könnte, um sich daran zu erfreuen.

Wobei allein schon das Erfreuen so eine Sache wäre. Denn viele der von Jürgens verwendeten Materialien sind nicht so unmittelbar ästhetisch ansprechend. Da wären zum Beispiel Schichten aus farbigem Paraffin, die wie schillernde Öllachen in- und übereinander laufen. Sie liegen, mit Styropor unterfüttert, auf dem Boden, erreichen schon mal zwei Quadratmeter Größe.

In einer Variante lässt sie ein Aluminiumtragwerk über dem Boden schweben, ein Spiegel und eine Beleuchtung darunter geben dem nun nicht nur optisch vergrößerten Objekt einen weiteren, surrealen Touch. Die verwendeten, anschließend „dekonstruierten“ Bildmotive für die Paraffinschichtungen stammen aus dem Internet, ganz wie es sich für die mit Digitalem gut vertraute Generation gehört – Jürgens ist Jahrgang 1986. Sie hat unter anderem an der Braunschweiger Kunsthochschule studiert und dort 2013 bei der US-amerikanischen Malerin Frances Scholz ihr Diplom absolviert.

Exotische Dinge sind unter Jürgens’Bildwelten, geologische Formationen oder wohl auch Animalisches, etwa etwas grünlich Schuppiges. Es ziert einen kuscheligen Schlafsack, zeugt von der Liebe Jürgens’am Textilen, das in diesem Fall recht konventionell bedruckt wurde. Im Objekt nebenan liegt ein lässig zusammengefalteter Stoff, es ist ein Bauwollgewebe mit Pixeldekor als „personalisierte kundenspezifische Entität (Fotodecke)“, so die Objektbeschreibung.

Zwei große Glaskästen, einer waagerecht, einer senkrecht aufgestellt, sind mit einer Schicht Aqualinos gefüllt – das sind wasserspeichernde Gelkugeln aus dem Dekosektor, in diesem Fall wie schwarze Oliven aussehend. Durch Temperaturdifferenzen verdunstet und kondensiert das Wasser in dem geschlossenen System, bildet an den Glasflächen den Paraffinschlieren nicht unähnliche, wechselnde Motive.

Weitere liegende, stehende und hängende Objekte ähnlichen Konzepts ergänzen die Gesamt-Materialisierung. Unter den Tages- und Kunstlichtsituationen der Einblickshalle am Eingang des Sprengel-Museums fängt nun alles an, sich zu neuen Formationen zu überlagern, sich gegenseitig und auch die Raumleuchten zu spiegeln, wenn man sich zwischen den Objekten bewegt. Ein leichtes Flirren ist im Raum, nichts ist mehr statisch, eine sehr eigenwillige Komposition fügt sich aus der Architektur, dem freien Blick hinaus und den changierenden Elementen: wie große Vexierbilder oder eben „Fragmentarische Landschaften“.

So lautet die Bezeichnung dieser Werkgruppe von Delia Jürgens, die sie als dramatischere Inszenierung auch schon mal in die echte, karge Natur Kaliforniens gepflanzt hat.

Delia Jürgens: „The future is but a second away“, bis 17. Februar 2019, Hannover, Sprengel-Museum

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