die dritte meinung: Ohne Aufklärung der vielen Vermisstenfälle kein Frieden in Syrien, sagt Kathryne Bomberger
Kathryne Bombergerist Generaldirektorin der Internationalen Kommission für Vermisste Personen, einer zwischenstaatlichen Organisation mit Sitz in Den Haag.
Noch vor dem Beginn des bewaffneten Konflikts in Syrien berichteten Menschenrechtsorganisationen von bis zu 17.000 Personen, die das syrische Regime aus politischen Gründen verschwinden ließ. Während alle Konfliktparteien Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, hat das syrische Regime mit seiner systematischen Politik von Isolationshaft und geheimen Inhaftierungen Tausenden Menschen den Kontakt zu Angehörigen verwehrt. Kürzlich veröffentlichte das Regime die Namen angeblich in Haft verstorbener Personen, jedoch ohne die Todesumstände oder den Verbleib sterblicher Überreste mitzuteilen. Nimmt man nach Vertreibungen, Säuberungen und auf der Flucht nach Europa als vermisst gemeldete Personen zusammen, heißt das: Bis zu 100.000 gelten heute infolge des Syrienkrieges als vermisst.
Die politische und menschliche Katastrophe des Verschwindens von Müttern, Vätern, Kollegen und Verwandten ist nicht zu unterschätzen. Tausende Vermisste stehen für Zehntausende Angehörige und Freunde. Zugleich schafft das Verschwindenlassen von Personen erhebliche Hindernisse für die Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat. Damit stellen diese Vermissten eine erhebliche Hypothek für einen künftigen Friedensprozess dar.
Um Vertrauen in staatliche Institutionen zu schaffen und die Glaubwürdigkeit eines künftigen Rechtsstaats in Syrien sicherzustellen, ist daher eine Aufklärung der vielen Vermisstenfälle nötig. Die Internationale Kommission für Vermisste Personen arbeitet bereits mit Familien der Vermissten in der syrischen Diaspora zusammen, um die Grundlage für eine effektive Aufarbeitung zu schaffen. Hierfür ist es unerlässlich, dass sie Zugang zu Flüchtlingslagern sowie gesicherte Arbeitsbedingungen in den Aufnahmeländern erhält.
Solange so viele vermisst werden und niemand für ihr Verschwinden zur Rechenschaft gezogen wird, kann es einen dauerhaften Frieden in Syrien nicht geben. Die Suche nach den Vermissten ist deshalb eine Investition in den Frieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen