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Der Zoo am Ende der Republik

1986 hat Peter Wilberg den Oderbruchzoo an der Grenze zu Polen gegründet. Mit seinen Tieren überstand der Zooleiter die Wende, eine Evakuierung und den Besuch von Helmut Kohl

Von Lea Diehl (Text) und Karsten Thielker (Fotos)

Um von Berlin nach Altreetz im Oderbruch zu gelangen, rollt man mit dem Auto breite Alleen hinab. Grauer Himmel hängt an diesem Herbsttag über dürren Feldern. Ein Kirchturm schaut in Altreetz zwischen niedrigen Häusern hervor. Am Dorfausgang steht zwischen Gestrüpp ein schlichter Wegweiser, auf dem „Zoo“ steht.

Dort sagen sich nicht nur Fuchs und Hase gute Nacht, sondern auch Affen, Wellensittiche und ein Kamel namens Püppi. Am Eingang des Zoos schon riecht man die Tiere. „Willkommen am Ende der Republik“, grüßt Peter Wilberg, 81, der den Zoo vor der Wende gründet hat und heute noch leitet.

Der Oderbruchzoo liegt am äußeren Ende Brandenburgs, hier ist man fast schon in Polen. „Die Berliner finden es schön, rauszukommen und sind rutzputz hinter der Grenze, da können sie einkaufen.“ Wilberg klopft seinem Gegenüber beim Lachen auf die Schulter. Er lacht laut. Sein Humor ist derb, die Sonnenbrille, die er an diesem wolkenverhangenen Tag trägt: neongrün. „Das hier ist das Ergebnis eines etwas Verrückten“, sagt er über seinen Zoo. „Man muss verrückt sein.“

Auf einem ehemaligen Kartoffelacker hat Wilberg den Oderbruchzoo 1986 gegründet, als ersten Schulzoo der DDR. Wilberg war Biologielehrer. „Mit Kaninchen hat alles angefangen“, sagt er stolz, etwas ungläubig darüber. „Der Zoo war ein Produkt des polytechnischen Unterrichts.“ Nach den Kaninchen kamen Pferde, „Meerschweine, Stachelschweine, große Schweine“. „Die Zoos wurden ja zu DDR-Zeiten sehr gefördert. Die mussten die Leute ruhig halten.“

Das Futter bekam er von der LPG, noch heute überlässt es ihm die Agrargenossenschaft umsonst. „Und was wir von den Privatbauern kriegen, wird mindestens zur Hälfte gesponsert.“ Sein Zoo ist im Oderbruch längst eine Institution.

Wilberg sitzt in seiner „Zoobaude“ vor heller Holzwand. Auf der geblümten Tischdecke vor ihm steht ein Topf mit künstlichen Osterglocken. Die lange Tafel in der Hütte ist immer gedeckt. Zwischen Tellern und Tassen liegt Konfetti. Durch das Fenster sieht man Püppi, das Kamel, vorbeibummeln.

Den Menschen, die hierherkommen, ginge es vor allem um die Geselligkeit, sagt Wilberg. Vielleicht geht es ihnen auch um seine Lebensweisheit. „Man merkt ja auch, wo es Tendenzen in den Familien gibt, wo sich der eine mit dem anderen nicht grün ist. Dann bubbel ich so ein paar philosophische Kisten mit rin.“ Wilberg lacht. Er weiß, wie man den Menschen ein Freund wird. Als Zooleiter müsse man das. „Manchmal hatte ich so Gruppen hier drin, denen musste ich bisschen zureden, dass wir nicht auf’m Oktoberfest sind“, erzählt Wilberg. „Und dann hab ich ihnen ’ne Lage Bier geschmissen und die Sache war erledigt.“ Er prustet los. „Sie kamen wieder und brachten Futter mit für die Tiere.“

Etwa 30.000 Menschen besuchen den Zoo im Jahr. Es kommen Motorradgruppen, der Kleingartenverein, Familien. Auch Kunstfreunde. In seinem Haus, er wohnt gegenüber, hat Wilberg eine große Kunstsammlung, manchmal macht er im Zoo auch Ausstellungen mit Künstlern aus der Gegend.

Mit Kaninchen hat alles angefangen. Dann kamen Pferde, Meerschweine, Stachelschweine

In einer Vitrine in der Baude ist eine präparierte Vogelspinne ausgestellt, darüber Schildkrötenpanzer. „Pass uff, wir arbeiten zusammen mit dem Zollamt“, sagt Wilberg. „Die kontrollieren ja. Und das, was verboten ist, einzuführen, das nehmen sie den Leuten weg. Und die wissen Gott sei Dank nicht, wo es hingeht.“ Irgendetwas müsse mit den Sachen ja gemacht werden, meint er. Drum stelle er sie aus, betrachtet das als Teil seines Bildungsangebots.

Das mit dem Zollamt läuft so: „Ein Beamter ruft bei mir an und sagt: Wir haben wieder einen Schwung – sollen wir kommen oder kommen Sie? Und dann frag ich: Was ist euch denn lieber? Und dann sagen die: Ja, Mensch, das ist doch keine Frage. Wir kommen zu Ihnen, dann haben wir einen Tag frei.“

Im Jahr 1997 musste der Zoo evakuiert werden. Hochwasser. „Das Schlimme war: Ich konnte keinen fragen. Wie evakuiert man denn einen Zoo?“, sagt Wilberg, man sieht ihm die Angst von damals noch einmal im Gesicht stehen. „Das ist noch nie passiert in Deutschland.“

Die Tiere wurden auf andere Zoos verteilt. Dabei haben die Feuerwehr und die Bundeswehr geholfen. Auch Helmut Kohl ist damals in den Oderbruchzoo gekommen, ein Brief von ihm an Wilberg ist auf ein großes Blechschild auf dem „Indianerspielplatz“ gedruckt.

Über der Tür der Baude hängt ein Eselskopf, über Wilbergs Kopf der Kopf eines Zebras. Die beiden Tiere seien kurz nach der Evakuierung gestorben. „Das Zebra war noch ein Fohlen, die Stresssituation hat es wohl nicht vertragen.“

Bei dem Esel hingegen könne es auch Altersschwäche gewesen sein. Das Wasser jedenfalls hat den Zoo dann nie erreicht. „Die Evakuierung war quasi umsonst.“

Heute hat der Zoo sieben Mitarbeiter. Nach der Wende habe Wilberg jedoch erst mal „trommeln“ müssen, die Besucherzahlen nahmen ab. Die Menschen seien alle in den Westen gefahren. Kamen aber wieder. „Dann dachte ich, jetzt aber los, jetzt ist die Welt offen und jetzt ist Geld da.“

Über Geld spricht Wilberg gerne. Eine Million Euro hat er von der EU bekommen, erzählt er, auch an manchen der grünen Zäune im Zoo hängen Schilder, die das verraten. „Wir haben Gott sei Dank in Wriezen ein Büro von der EU und der, der das leitet, der ist hier Stammgast.“

Das zweite Standbein seines Zoos: ein Feriendorf für Behinderte, das nach der Wende entstand. Auch das wurde ordentlich gefördert. In kleinen gelben Häuschen können Gruppen behindertengerecht wohnen. Außerdem gibt es für sie eine Therapiestation. „Das kam so zustande, dass ich gemerkt habe, dass Menschen mit Behinderung einen ganz besonderen Draht zu den Tieren entwickeln. Die haben das Bedürfnis, so ein Tier mal anzufassen und zu streicheln. Die unterhalten sich mit den Tieren.“

Was mit dem Zoo wird, wenn Wilberg nicht mehr ist, weiß er nicht sicher. Seine Tochter ist unter den Mitarbeitern, vielleicht übernehme sie. Aber daran wolle er noch nicht denken. „Schließlich kann man ja auch mit 50 schon umfallen“, sagt der 81-Jährige. So lange es geht, macht er weiter.

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