: Form statt Inhalt
Felix Rothenhäusler inszeniert Jonathan Safran Foers Roman „Hier bin ich“ am Goetheplatz hektisch, aber statisch als platte Klischeeparade. Das Buch war da deutlich weiter
Von Jan-Paul Koopmann
Dass der Hund hier alles vollkackt, „das vergleichst du mit der Schoah?“ Man kann die Entrüstung des ansonsten eher weniger sensiblen Opa Irv schon verstehen. Es ist ja wirklich eine Zumutung, wie Jonathan Safran Foers Roman „Here I Am“ leichtfüßig den Massenmord am jüdischen Volk mit einem drohenden Untergang Israels vermengt – und beides zur Projektionsfläche degradiert für die herzerweichende Trennungsgeschichte eines US-amerikanischen jüdischen Pärchens irgendwo Anfang der 40.
Diese Spiegelung hat Felix Rothenhäuslers Inszenierung sehr genau verstanden. Sie beleuchtet die Beziehungen zwischen diesen und jenen überhaupt bis ins Mark: zwischen Vater, Mutter und Kind, Volk und Religion, Israel und Diaspora, Chef und Sekretärin. Nur wer die Menschen in diesen Konstellationen eigentlich sind, ist dem Stück auf frappierende Weise egal.
Nun liegt es sicher auch an der Überfülle und der kunstfertig vorangetriebenen Dialog-Eskalation der Vorlage, dass sich ihre 700 Seiten kaum kürzen lassen, ohne ihr damit Gewalt anzutun. Felix Rothenhäusler und Jan Eichberg versuchen es nach ihrem gewohnten Rezept: steigen zum Höhepunkt des Konflikts ein, lassen die festgefahrenen Positionen aufeinander losgehen und zeigen die technische Routine ihres Scheiterns.
Das klingt zwar dröge, ist eine Zeit lang aber wirklich richtig lustig: „Was ist ein Vaginaloch?“, fragt herrlich blöde Bastian Hagen als Riesenbaby Benjy. Vater und Mutter zucken kurz zusammen: Sollte man Papas aufgeflogene Affäre doch erst diskutieren, wenn die Kinder im Bett sind? Der nächste Sohn mischt sich ein, Justus Ritter als liebenswürdiger Klugscheißer Max erklärt dem Kleinen eben, was eine Vagina ist. Opa gibt einen zynischen Kommentar ab, Deniz Orta als superbockigem drittem Sohn Sam wird die Sache zu viel: „Ihr seid so peinlich“, und der Hund (hechelnd unter dem Fell: Siegfried W. Maschek) muss jetzt wirklich dringend Gassi. So geht das Elend wieder und wieder im Kreis.
Eingesperrt in der Familienküche folgt vor weiß-rosa Schrankfronten in hoher Taktung Punchline auf Punchline. Dass aus den Boxen jedes Mal so ein schrabbeliges „Düttdööt“ ertönt, wenn wer einen bemerkenswerten Satz spricht, hat was von der beiläufigen Heiterkeit einer Sitcom-Lachmaschine. Und unterstreicht sehr hübsch die maschinelle Rhythmisierung dieses familiären Miteinanders. Nur passiert dann eben weiter nichts mehr, der Konflikt ist nach zehn Minuten auserzählt, selbst der knallige späte Auftritt Matthieu Svetchines als israelischer Cousin Tamir unterstreicht im Grunde nur das bereits zigmal Gesagte.
Verloren gehen die zarten Zwischentöne des Romans, die Aufs und Abs einer scheiternden Ehe und überhaupt die Liebe: Die ist nämlich schon noch da, reicht aber eben nicht, um miteinander weiterzumachen. Für solche Feinheiten hat die Inszenierung keine Zeit und offensichtlich auch kein weiteres Interesse an ihnen.
Ein weiteres Beispiel: Als Opa Irv reibt Verena Reichhardt dem Sohn zwar schneidend fies und lustig hämisch unter die Nase, dass er als Künstler nur blöde Unterhaltung fürs Fernsehen schreibe, nur unterschlägt die Bremer Theater-Fassung dann, dass der Sohn – im Roman – durchaus einen anspruchsvolleren Text in der Schublade hätte, diesen aber nicht veröffentlicht – weil Opa eben selbst drin vorkommt und diesen Spiegel nicht ertragen würde.
Die Regie dampft Foers Text auf genau die Klischees ein, an denen er behutsam arbeitet. Familienvater Jacob gibt Nadine Geyersbach ungebrochen als impotentes Würstchen, als kleinwüchsigen und mageren Intellektuellen. Dagegen steht Matthieu Svetchine mit Militärfrisur, Kampfstiefeln und Goldkettchen unterm angeklebten Fettgesicht als israelischer Obermacker. Das sind zwei jüdische Männerstereotype, die der Roman kunstvoll dekonstruiert, und die die Inszenierung achselzuckend der Lächerlichkeit preisgibt.
Als in der Familienküche schließlich der Nahostkonflikt eskaliert, implodiert die soziale Konstruktion endgültig: Opa mit seiner rassistischen Härte, der Onkel als Chauvi, der Nachwuchs als zum Kriegsspiel Verführter und der Familienvater als schnöder Feigling. Handelt der Roman noch von einem zwar fiktiven, in seiner Eskalation aber doch akribisch durchdeklinierten Krieg – bleibt er auf der Bühne betont ein Abstraktum, als sei die gewaltbereite Feindseligkeit unter Israels Nachbarstaaten nur so ein jüdisches Gedankenspiel. Gesagt wird dann weiter auch nichts mehr: „Rattatttatatat“ machen alle und so lange „Bum bum“, bis schließlich noch der altersschwache Familienhund mitjault. Aber da ist es dann auch bald überstanden.
Dass Felix Rothenhäuslers oft genug an Dramen und selbst TV-Serien erprobtes Regiekonzept das Dialogfeuerwerk dieses Romans nun so gar nicht in den Griff bekommt, ist ein bisschen überraschend – und schade. Dass an diesem Abend aber auch einer der bemerkenswertesten Versuche auf der Strecke bleibt, die Spannungen zwischen amerikanischer Diaspora und Israels Juden zu durchleuchten, ist hingegen so richtig ärgerlich.
Wieder am 1., 6., 15., 19. und 28. 12., jeweils 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus
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