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Feierabend im Morgengrauen

Sie raubt den Schlaf und erhöht das Krankheits-risiko: Nachtarbeit ist für die wenigsten Menschen attraktiv. Aber wer sich an nächtlichen Arbeitsplätzen umhört, lernt auch andere Facetten kennen. Für manche sind die Schichten wie eine Sucht

Von Anna Klöpper und Jana Lapper

So richtig Nacht wird es in Berlin eigentlich nicht. Der Tag hat 24 Stunden – und daran hält man sich gefälligst. Irgendwer in der Stadt ist garantiert immer wach und hat noch was zu erledigen. Feiern gehen muss man zum Beispiel nachts. Aber dann gibt es noch die Orte, wo es nicht so glitzert und funkelt, wo mehr geschuftet wird als getanzt. Wo Menschen dafür sorgen, dass die Maschine Großstadt weiterläuft.

Rund 235.000 BerlinerInnen arbeiteten 2014 nachts, hat das statistische Landesamt im vergangenen Jahr erhoben. Neuere Zahlen gibt es nicht. Vor vier Jahren waren das immerhin 14 Prozent der Erwerbstätigen in Berlin. Damit liegen zumindest die damaligen Zahlen deutlich über dem aktuellen Bundesschnitt: Im November verdienten laut Arbeitsministerium zwei Millionen Menschen ihr Geld mindestens teilweise mit Nacht­arbeit, das sind etwa 4 Prozent aller Erwerbstätigen.

Wer nachts arbeitet, ist oft der Ausputzer. Bürogebäude werden nachts gereinigt. Sehenswürdigkeiten wie der Fernsehturm auch: Wenn sich um acht Uhr in der Frühe die ersten Touristen brav zur Schlange formieren, treten die Gebäudereinigerinnen durch einen Nebeneingang in den Feierabend.

Nachts arbeitet man hinter den Kulissen. Wenn sich der Vorhang hebt, wenn die Nacht geht, ist die Benutzeroberfläche der Stadt wieder blank gewienert. Die Brötchen sind gebacken und die Zeitung liegt im Briefkasten, weil jemand sie nachts im Sprinter über die Autobahn kutschiert hat, weil ein anderer Jemand sie ausgetragen hat.

Nachts wird gearbeitet, weil das Leben, auch während die meisten schlafen, ziemlich heftig weitergeht. Das zeigt ein Besuch bei der Toilettenfrau Jolanta Marquardt im Neuköllner Schwulenclub SchwuZ. Sie übernimmt dort eine Seelsorge-Funktion, die Gäste vertrauen sich ihr an. Ähnliches berichtet der Bereitschaftsarzt Kevin Ummard-Berger auf nächtlicher Fahrt zu seinen Einsätzen: Je später die Nacht, desto bedürftiger der Patient.

Alles, was zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens passiert, fällt laut Arbeitsgesetz unter Nachtarbeit. Wer in diesem Zeitraum mindestens zwei Stunden erwerbstätig ist und im Jahr auf 48 Tage kommt, darf von sich behaupten, eine Nachtarbeiterin oder ein Nachtarbeiter zu sein.

Schwangere und Minderjährige dürfen nachts nicht arbeiten. Nachtarbeit ist ungesund. Wer regelmäßig die Nachtschicht macht, hat ein erhöhtes Krebsrisiko, sagt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Arbeitsmediziner warnen vor einem dreimal so hohen Risiko, psychisch zu erkranken. Dass Nachtarbeit den Biorhythmus durcheinanderbringt und für Schlafstörungen sorgt, liegt auf der Hand. Deshalb gibt es Schmerzensgeld: mindestens 25 Prozent Zuschlag auf den Grundlohn, das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.

Trotzdem lieben einige Menschen die Nachtschicht. Detlef Schmidt zum Beispiel steht seit 26 Jahren nachts an den Verladerampen auf einem Großmarkt und packt Obst und Gemüse in Kisten. Schmidt sagt, dass er Angst davor hat, in Rente zu gehen – weil er gar nicht mehr weiß, was er mit dem Tag anfangen soll.

Sicher ist eins: Wer nachts arbeitet, hat etwas zu erzählen.

Nachtarbeiterinnen und Nachtarbeiter – wer sind sie und was treibt sie an? Drei Besuche am Arbeitsplatz: 44–45

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