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Archiv-Artikel

Flucht nach vorn

„Die Selbstkritik hat viel für sich. So kommt es dann zum Schluss heraus, dass ich ein ganz famoses Haus!“ – Vom MDR kann man das nicht sagen

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Selbstkritik ist Udo Reiters Sache normalerweise weniger. Doch auf einer eigens anberaumten Sondersitzung seines Rundfunkrates am Mittwoch wurde der MDR-Intendant in Sachen Korruption und Schleichwerbung ungewohnt deutlich: Die Fälle hätten der ARD „immens geschadet“.

Die Fälle – das sind vor allem zwei, und beide Male ist der MDR maßgeblich beteiligt: Es geht um den inzwischen fristlos entlassenen und inhaftierten MDR-Sportchef Wilfried Mohren, der Sendezeit verkaufte. Und die Schleichwerbung in ARD-Serien wie „Marienhof“ und „In aller Freundschaft“. Der MDR hält Beteiligungen an deren Produktionsfirmen Bavaria und der Tochtergesellschaft Saxiona Media. Reiters nannte auch konkrete Zahlen: 1,4 Millionen Euro wurden insgesamt für Produktplacements gezahlt. 193 waren für „Marienhof“ vertraglich vereinbart, 117 wurden auch umgesetzt (taz berichtete). Für die Serie „In aller Freundschaft“ fanden sich vier Verträge.

Der MDR-Intendant räumte auch ein, dass bei Einführung der Sportwette Oddset Schmiergeld nicht nur an Mohren persönlich, sondern unbemerkt auch an den Sender geflossen sei. Aus der Buchhaltung und den Verträgen seien die Leistungen nicht ersichtlich gewesen. Haben also die hauseigenen Kontrollmechanismen versagt, wie Reiter pro domo fragte?

Beinahe. Denn der Rundfunkratsvorsitzende Klaus Husemann hatte schon eine Resolution eingebracht, in der viele einen vorauseilenden Freispruch der MDR-Spitze sahen: „Wir begrüßen ausdrücklich die eingeleiteten Maßnahmen der MDR-Geschäftsführung“, hieß es da, und dass man sich allen Versuchen, den MDR bzw. seine Mitarbeiter zu kriminalisieren, widersetzen werde. Doch die Resolution fiel bei den 42 RundfunkrätInnen durch – es gab ganze zwei Jastimmen.

Die von Reiter angekündigten oder bereits eingeleiteten Gegenmaßnahmen klingen dabei wie eine Flucht nach vorn: Von den über 40 Produktionsfirmen, die nicht versichern wollten oder konnten, stets konsequent die ARD-Werberichtlinien einzuhalten, wird sich der MDR trennen. Alle Neuproduktionen und Wiederholungen werden nach Produktplacements abgesucht. In den zahlreichen MDR-Tochterfirmen werden Wirtschaftsprüfer eingesetzt. Präventiv sollen die interne Revision verstärkt, die Geschäftsbeziehungen zu Angehörigen von Mitarbeitern offen gelegt und die Mitarbeiter besser geschult werden. Selbst ein Antikorruptionsbeauftragter, von PDS-Rundfunkrat Heiko Hilker seit längerem gefordert, ist nicht mehr tabu.

Doch ob das reicht, bezweifelte auch der Rundfunkrat: Sie kritisieren die weitgehend ausgelagerten und privatisierten Produktionsstrukturen der Anstalt. Schon in der Vergangenheit gab es Probleme bei der Kontrolle der zahlreichen Töchter des MDR. Hilker ist überzeugt, „dass die Anfälligkeit gegenüber Schleichwerbung und Schmiergeld durch die Auslagerungen befördert wird“. Der MDR habe ein wahres „Schattenreich solcher Firmen, die der Kontrolle durch den Rundfunkrat als oberstes Gremium weitgehend entzogen sind“.

Die Rechtsaufsicht des MDR hat Korruption und Schleichwerbung bei dem Sender mittlerweile als „schwerwiegende und systematische“ Gesetzesverstöße eingestuft, heißt es laut epd in einem Brief der sächsischen Staatskanzlei an den Rundfunk- und Verwaltungsrat. „Einzelne arbeitsrechtliche Maßnahmen“ reichten nicht aus, um einen „Ansehens- und Glaubwürdigkeitsverlust“ wieder auszugleichen. Korruptionsvorwürfe und „auch die offenbar über Jahre hinweg aufgetretene Schleichwerbung sprechen für Kontrolldefizite“, denen sich die Gremien stellen müssten.