: Ein Giftberg unter Verdacht
Vor den Toren Lübecks droht ein Giftmüllskandal
Die ersten Konsequenzen aus dem drohenden Giftmüllskandal auf Europas größter Sondermülldeponie Ihlenberg bei Lübeck wurden bereits gezogen. Der Betreiber, die landeseigene Abfallentsorgungsgesellschaft, darf keine neuen Lieferverträge mit ausländischen Firmen mehr abschließen, verfügte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU). Denn eine Lieferung aus dem italienischen Livorno im vorigen Dezember hatte den Stein ins Rollen gebracht.
Der Chefrevisor der Deponie, der Entsorgungsexperte und Ehemann von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), Stefan Schwesig, fand heraus, dass der in Ihlenberg erlaubte Grenzwert für Cadmium um mehr als 3.000 Prozent übertroffen wurde, bei Zink sogar um 9.500 Prozent. In einer Charge, die im Mai aus Hannover angeliefert wurde, seien die Grenzwerte für Quecksilber sogar um 17.900 Prozent überschritten worden. „Mangelnde Kontrollen“ hatte Stefan Schwesig in seinem Prüfbericht kritisiert und eine hohe Risikobereitschaft der Unternehmensleitung bemängelt.
Diese Vorwürfe versuchte die Deponie-Leitung am vergangenen Dienstag auf einer Sondersitzung des Umweltausschusses der Lübecker Bürgerschaft zu entkräften. „Die Vorwürfe stimmen in Gänze nicht“, sagte der technische Geschäftsführer Norbert Jacobsen. Auch Gefahren für das Trinkwasser der nur wenige Kilometer entfernten Großstadt Lübeck seien auszuschließen. „Rechtlich ist uns nichts vorzuwerfen“, sagte Jacobsen.
Lübecks Umweltsenator Ludger Hinsen (CDU) kündigte dennoch an, die Kontrollen des Trinkwassers zu intensivieren: „Dass wir noch nichts gefunden haben, heißt nicht, dass alles in Ordnung ist.“ Einstimmig beschloss der Ausschuss, von Mecklenburg-Vorpommern einen umfassenden Bericht zu fordern, einen Sitz im Kontrollgremium und regelmäßige jährliche Berichte des Deponiebetreibers. Außerdem solle Schwesigs Prüfbericht von einem externen naturwissenschaftlichen Gutachter überprüft werden.
Über weitere Konsequenzen denkt schon die Linke im Schweriner Landtag nach. Sollten die Gutachten keine Entwarnung bringen, müsste ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Vorfälle um den Giftberg an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein aufklären. Für dessen Einsetzung aber bräuchte die oppositionelle Linke die Zustimmung der regierenden Großen Koalition. Das wäre für die SPD besonders pikant: Sie geriete in den Verdacht der Vertuschung, sollte sie sich dem Antrag verweigern, den Prüfbericht des Ministerpräsidentinnen-Gatten Schwesig zu erhärten. Sven-Michael Veit
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