: Kosovo brüskiert Serbien mit Importzöllen
Die EU vernachlässigt ihre Vermittlungsmission auf dem Balkan. In der Folge lassen Belgrad und Prishtina die Muskeln spielen. Belgrad sucht nun Hilfe bei Moskau und Peking
Aus Belgrad Andrej Ivanji
Am Freitag hatte man in Serbien den Eindruck, im Kosovo sei wieder der Krieg ausgebrochen. Serbische Medien berichteten über das „Eindringen“ der kosovarischen Polizeisondereinheit ROSU in den serbischen Teil der ethnisch getrennten Stadt Kosovska Mitrovica. Serbische Fernsehsender zeigten Handy-Videos von einem Polizeigroßeinsatz, man hörte Schüsse im Hintergrund.
Drei Serben seien in der „brutalen Nacht-und-Nebel-Aktion“ verhaftet worden. Man beschuldige sie, in den Mord an dem serbischen Politiker Oliver Ivanović im Januar in Kosovska Mitrovica verwickelt zu sein. Nach einem vierten Serben werde gefahndet.
In Belgrad herrschte blanke Empörung. Staatspräsident Aleksandar Vučić rief eiligst den Rat für nationale Sicherheit zusammen. Dies sei ein „schamloser“ Versuch der Albaner, die Verantwortung für das Attentat auf Ivanović den Serben zuzuschieben, sagte Vučić. Und zwar zehn Monate nach dem Mord und just zu einem Zeitpunkt, an dem die Beziehungen zwischen Belgrad und Prishtina sich drastisch verschlechtern. Vučić sprach von gezielter „Einschüchterung“ der Serben im Kosovo und „grober Überschreitung“ der Befugnisse der kosovarischen Polizei.
Serbien und die im Kosovo lebenden Serben erkennen die 2008 ausgerufene Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Der für Serben provokative Einsatz der kosovarischen Polizei war nur der letzte Zug im Muskelspiel, das sich Belgrad und Prishtina seit einer Woche liefern.
Die Regierung in Prishtina war verärgert, weil Serbien mit der Hilfe Russlands seit einem Jahrzehnt ziemlich erfolgreich die Aufnahme des Kosovo in internationale Organisationen blockiert. Anfang der vorigen Woche erhob sie zuerst Zölle von zehn Prozent auf Produkte aus Serbien und aus Bosnien und Herzegowina, das wegen des Vetos der bosnischen Serben gleichfalls die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennt. Wenige Tage später zeigte die unermüdliche, weltweite Lobby-Arbeit Serbiens erneut seine Wirkung: Kosovo wurde nicht in die internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol aufgenommen. Die serbische Staatsspitze jubelte und feierte, als hätte Serbien die Fußball-WM gewonnen. Serben in Kosovska Mitrovica feierten den „serbischen Sieg“ auf der Straße. Die kosovarische Regierung fühlte sich gedemütigt.
Darauf erhöhte Prishtina die Zölle auf serbische und bosnische Produkte auf 100 Prozent und blockierte so praktisch den gesamten Handel. Kurz: Man erklärte Serbien faktisch den Handelskrieg.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini rief beide Seiten zur Besonnenheit auf und forderte von Prishtina, die Zollerhöhungen sofort aufzuheben. Sie seien eine grobe Verletzung des mitteleuropäischen Freihandelsabkommens Cefta.
Die danach folgende Polizeiaktion in Mitrovica sollte den Serben zeigen, wer der Chef im souveränen Kosovo ist. In Belgrad ist man wegen der „milden“ und „unentschlossenen“ Reaktion der EU auf die „barbarischen“ Schritte Prishtinas empört. Hinter den Aktionen der kosovarischen Regierung vermutet man die Unterstützung der USA.
Deshalb suchte Vučić zuerst das Gespräch mit den russischen und chinesischen Botschaftern in Belgrad. Sie sollen ihren Präsidenten berichten, dass sich Serbien in der schwierigsten Lage seit Jahren befindet und Hilfe braucht, hieß es in einer Erklärung. Serbiens Ziel: den Konflikt aus den Händen der EU in die des UN-Sicherheitsrats zu übertragen
Die Vermittlung im Dialog zwischen Belgrad und Prishtina über die Normalisierung der Beziehungen hat die EU auf sich genommen. In den vergangen Woche ist genau das Gegenteil passiert.
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