Russischer Theaterfrühling in Berlin: Russen sind so, Deutsche sind so
Ungleiches Schauspiel: Bei der zweisprachigen Produktion „Ich sehe dich, ich kenne dich“ überzeugt zum Auftakt im TAK vor allem die Gastfraktion.
Es kommt nicht allzu oft vor, dass im Theater Aufbau Kreuzberg (TAK) russische Pralinen durch die Reihen gereicht werden – und dann noch die „guten“ aus dem Russkij Magazin. Vergangenes Wochenende aber war ein solch besonderer Anlass, da versammelte sich die russischsprachige Kulturszene Berlins im TAK. Und von der Bühne tönte es: „Was mag ich an Berlin? Marzahn, die Karl-Marx-Allee. Noch schön sowjetisch!“
Mit der Aufführung von „Ich sehe dich, ich kenne dich“ wurde der Russische Theaterfrühling eingeläutet. Bereits zum dritten Mal bringt das Festival zeitgenössisches russisches Theater nach Berlin. Noch bis zum 25. November sollen sieben Aufführungen und ein Rahmenprogramm einen Einblick in die aktuelle russische Gesellschaft und das künstlerische Geschehen geben.
Das zweisprachige Stück „Ich sehe dich, ich kenne dich“ wurde – gefördert vom deutschen Außenministerium – anlässlich des 25. Jubiläums der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Moskau produziert.
Es beginnt mit einer monotonen Stimme aus dem Off: „Vier Menschen, zwei Russen, zwei Deutsche. Versucht zu erraten, wer wer ist.“ Vier junge Menschen in schlichter schwarzer Kleidung sitzen in einer Stuhlreihe und blicken ins Publikum. „Schwierig?“ – Ehrlich gesagt nicht.
„Wodka, Kalaschnikow, Babuschka, Kalinka“
Der große Blonde – Kapuzenpulli und strähnige Surferfrisur – ist schnell als „der Deutsche“ enttarnt, und die zierliche Frau mit dem anmutigen Blick und den feinen Gesichtszügen kann nur die Russin sein. So viel zum Thema Stereotype – und die werden in der Folge noch reichlich bedient. „Wodka, Kalaschnikow, Babuschka, Kalinka“, ist eine der ersten Zeilen des „Deutschen“, gespielt von Tristan Bumm. Ein tiefer Griff in die Plattitüdenkiste.
Natürlich: Es ist möglich, Klischees mit Witz zu begegnen, doch kommt das Stück an vielen Stellen nicht über diese Ebene hinaus, zumindest in den deutschsprachigen Szenen, die von einem „Russen sind so, Deutsche sind so“-Denken geleitet sind. Demgegenüber stehen minutenlange Zitate russischer Intellektueller der 1920er Jahre, vorgetragen von dem russischen Schauspieler Ilja Kiporenko.
Erst das nachträgliche Gespräch mit Regisseur Juri Muravitskij liefert einen Einblick in die schwierigen Produktionsbedingungen des Stücks. So erklärt sich auch das Ungleichgewicht der Beiträge in der Kooperation. Das Theaterprojekt wurde in kürzester Zeit konzipiert, geschrieben und geprobt. Zehn Tage verbrachte ein elfköpfiges Team aus Regisseur, Dramaturg, Bühnenbilderner*innen und den vier Schauspieler*innen im September 2017 auf einem alten Gutshof in Mecklenburg-Vorpommern.
Die künstlerische Leiterin des Projekts, Anna Sarré, erzählt, dass in den ersten drei Tagen gar nichts passierte, weil es keine gemeinsame Kommunikationssprache gab. „In den letzten sieben Tagen ist das Stück entstanden.“
Muravitskij erklärt: „Die russischen Schauspieler*innen kannten wir schon und wussten, dass sie in der Lage sein würden, unter dem extremen Zeitdruck zu proben. Hier in Deutschland haben wir ganz klassisch gecastet.“ Nach der Uraufführung in Moskau zog das Team mit dem Stück weiter nach Rostow am Don und Kasan, um möglichst unterschiedliche Städte und ein diverses Publikum zu erreichen.
Flashback in die 80er
Während der Aufführung stoßen vor allem die Monologe von Tristan Bumm sauer auf. Zum Beispiel scherzt er darüber, wie man am besten mit russischen Frauen flirte – ein seltsames Reproduzieren kulturalistischer Geschlechterbilder. Schnell wird deutlich, dass die beiden russischen Schauspieler*innen mit einer anderen Ernsthaftigkeit an die Sache rangehen.
So nutzt die Schauspielerin Kristina Isaikina ihren kurzen Moment nach dem Stück, um auf die Situation von Theaterschaffenden in Russland aufmerksam zu machen. Sie erwähnt den Regisseur Kirill Serebrennikow, der seit über einem Jahr unter Hausarrest steht.
Auch Isaikina spielt mit Klischees, doch sehr viel geschickter verpackt: So versetzt Isaikinas Einlage als Alla Pugatschowa, der Ikone sowjetischer Popmusik mit den wild toupierten Haaren, das Publikum in die russischen Showsäle der 80er. Fast alle können mitsingen, eine Frau aus dem Publikum wird zum Tanz auf die Bühne geholt.
Vielleicht gar nicht schlecht, dass es sich bei den bis 25.11. in Berlin laufenden Stücken des Theaterfrühlings um rein russische Produktionen handelt. Am Sonntag werden im Deutschen Theater übrigens noch mehrere Stars des zeitgenössischen russischen Theaters über staatliche Kulturpolitik und Zensur sprechen.
Um fair zu bleiben: Deutsche werden schon auch auf die Schippe genommen. „Warum heißen Deutsche auf Russisch ‚Njemzy‘?“, fragt Ilja Kiporenko in seiner Rolle als „Russe“. „něm“ bedeutet in fast allen slawischen Sprachen „stumm“. Mit den Njemzy kann man einfach nicht reden.
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