: Vom Nutzen und Nachteil der Exkurse für das Leben
LITERARY MEN Der New Yorker Autor Keith Gessen schrieb sein Debüt „All die traurigen jungen Dichter“
In der New Yorker Literaturszene ist Keith Gessen eine feste Größe. 1975 in Moskau geboren, wanderte er im Kindesalter mit seiner Familie in die USA aus, um dem staatlich sanktionierten Antisemitismus der Sowjetunion zu entgehen. Mit diesem Lebenslauf kann Gessen überall mitreden: beim Nahostkonflikt nicht weniger als beim amerikanisch-russischen Verhältnis. Außerdem versucht er zum Beispiel durch das von ihm mitbegründete Literaturmagazin n+1 dem US-Geistesleben wieder Niveau und politische Ansprüche einzuhauchen. Bisher war Gessen dieser Berufung vor allem als Journalist und Kritiker nachgekommen – jetzt liegt sein erster Roman „All die traurigen jungen Dichter“ vor.
Bei dieser Biografie kann es kein Zufall sein, dass die Protagonisten Mark, Sam und – ja, tatsächlich – Keith über das Verhältnis der Menschewiki und Bolschewiki promovieren, bzw. ein zionistisches Epos schreiben wollen, bzw. im Politjournalismus tätig sind. Abwechselnd steht immer einer der drei im Zentrum eines Kapitels, aber nur der Namensvetter des Autors darf aus der Ich-Perspektive erzählen. Die drei Jungs, die im Verlauf des Buchs zehn Jahre älter werden und am Ende etwa dreißig sind, tun sich alle schwer damit, ihren, wie man so sagt, Platz im Leben zu finden. Mark ist mit Mitte zwanzig geschieden und kriegt seine Doktorarbeit nicht auf die Reihe. Sam hat tatsächlich nur wenig Ahnung vom Judentum und kann bei der von ihm begehrten Sexkolumnistin nicht richtig landen. Und Keith interessiert sich insgeheim (und vergeblich) mehr für die attraktive Tochter des gescheiterten demokratischen Präsidentschaftskandidaten als für dessen Politik.
Als Leserin vergisst man ständig, wer von den dreien jetzt was mit welcher Frau am Laufen hatte und ob sie schon zusammen im Bett waren oder nicht. Man wünscht sich, man hätte mitgeschrieben. Denn immer, wenn es spannend wird (und das ist leider nicht sehr oft der Fall), wird die Handlung von historischen Exkursen über Russland oder dem Rezitieren von UN-Resolutionen zum Nahostkonflikt unterbrochen. Leider erkennt Mark erst auf Seite 251: „Letzten Endes waren diese historischen Parallelen doch von recht begrenztem Nutzen, wenn es darum ging, sein Privatleben zu verstehen.“ Die Exkurse wiederum erinnern oft stark an eine Vorlesung, so dass man sich vielleicht auch hier hätte Notizen machen sollen. Dass die Palästinenser nicht nur Aggressoren, sondern auch Menschen sind, hatte man sich aber irgendwie schon gedacht.
Mark, Sam und Keith sind keine „jungen Dichter“, sondern genau wie ihr Autor literary men (Originaltitel): belesene und studierte Männer, und das hat mit Literatur nicht unbedingt etwas zu tun. Gessens Buch ist arg essayistisch und intellektuell bemüht, und wenn auf dem Klappentext in großen Lettern „Er dachte an ihre Sex-Kolumne“ prangt, fühlt man sich erst recht gelinkt. Gessens Erstlingsroman ist alles andere als „Sex and the city“ für Männer. Dafür ist Gessen zu (gewollt) niveauvoll, denn seine Ostküstenbettgeschichten verharren grundsätzlich im Bereich der Andeutung – nicht mal, ob der Sex gut war oder nicht, wird einem mitgeteilt.
Zugegeben, es gibt ein paar nette Glossen, die man als Aufhänger für eine Kolumne, vielleicht auch eine Kurzgeschichte gebrauchen könnte, zum Beispiel Sams Entsetzen darüber, dass sein Name es bei Google auf immer weniger Hits bringt, oder Keiths quasireligiöse Verklärung des demokratischen Kandidaten. Trotzdem wirkt dieser Roman eher unfreiwillig traurig.
MARGRET FETZER
■ Keith Gessen: „All die traurigen jungen Dichter“. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Dumont, Köln 2009, 300 Seiten, 19,95 Euro