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Einblicke in den tiefen Staat

Die Ausstellung „The Scar“ im Oldenburger Edith-Russ-Haus hat Kurzfilme zum Zentrum, die linke Erfahrungen aufgreifen. Der größte Moment ist ein Eignungstest fürs Kanzleramt

Von Jan-Paul Koopmann

Weil Yenge eine Frau ist, hält sie die Klappe. Im Gangsterfilm ist das so üblich, man ärgert sich vielleicht darüber, aber bis wirklich Misstrauen an dieser Geschichte aufkommt, dauert es doch eine ganze Weile. Die schweigende Frau ist nicht das einzige durchleuchtete Klischee in „The State of the State“, aber wie sich zeigen wird, das wichtigste des Films. Denn die anderen Figuren bleiben ja doch, als was sie eingangs vorgestellt werden: „der Polizeichef“, „der Politiker“, „der Staatskiller“. Und obwohl ja auch zwischen diesen Herren durchaus Interessantes passiert, ist es am Ende doch Yenge, auf die es ankommt.

Zu sehen ist dieser Film zur Zeit in Oldenburg, im Edith-Russ-Haus für Medienkunst. Er ist der Auftakt einer Kurzfilm-Trilogie, die wiederum das Herzstück der Ausstellung „The Scar“ darstellt. Gedreht hat diese Filme das Künstlerduo Noor Afshan Mirza und Brad Butler.

Die Beiden arbeiten seit rund 20 Jahren zusammen, pendeln zwischen London und Istanbul und beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit Protestbewegungen und Revolte. 2017 wurden sie als Stipendiaten der Stiftung Niedersachsen ausgewählt, weshalb sie nun auch im Edith-Russ-Haus zu sehen sind.

Ihre Filme arbeiten sich am Staat und seinen Kritiker*innen ab. Der besagte Gangsterfilm etwa ist aus einer Recherche zum Susurluk-Skandal von 1996 entstanden. Damals fand man nach einem Autounfall I­stanbuls stellvertretenden Polizeipräsidenten, ein führendes Mitglied der Grauen Wölfe, einen Großgrundbesitzer und Abgeordneten der konservativen DYP sowie die ehemalige Schönheitskönigin Gonca Us im gleichen Auto – mit Waffen und gefälschten Ausweisen. Der Unfall war ein Zufall, der damals Polit-Thriller-taugliche Einblicke in den „Tiefen Staat“ der Türkei gewährte: die Unterwelt von Geheimdiensten, Mafia und Faschisten.

Für Noor Afshan Mirza und Brad Butler war das Ausgangspunkt einer Spurensuche, die spätestens im dritten Teil abdriftet ins Phantastische: in Traumbilder und ästhetische Reflexionen. Die schweigende Yenge wird irgendwann das Auto verlassen und gleichzeitig mit der Sprache des Kinos brechen: Es ist eher Performancekunst, wenn sie vor stillstehender Kamera das Kleid, das sie am Leib trägt, an einen Baum nagelt.

Schneidende Kritik an der Kategorie der Moral

Der abschließende Film spielt in einer sonderbaren Zwischenwelt: Drei zum Triptychon arrangierte Bildschirme mit Sitzkissen davor versetzen das Publikum an ein prä- oder eher außerhistorisches Lagerfeuer. In Großaufnahme verständigen sich verschiedene Frauen über sprachliche, geographische und vielleicht historische Grenzen hinweg. Sie tauschen Erfahrungen aus und verbünden sich – im Flackern des Feuers wirkt das, als spiele die Szene irgendwo ganz am Anfang der Menschengeschichte, vielleicht eines Neubeginns?

Rund zweieinhalb Stunden Film sind in der Ausstellung zu sehen. Weil sie allerdings häppchenweise und in Schleifen nebeneinander herlaufen, wird der Besuch leicht zur nachmittagfüllenden Veranstaltung. Noch gar nicht mitgezählt sind dabei die 90 Minuten, die laut Aufdruck für den Test „Sie sind Bundeskanzler*in“ zur Verfügung stehen.

Enge Schulbänke stehen im Untergeschoss der Ausstellung unter einer aggressiv-blauen Leuchtschrift. Auf den Tischen liegen Fragebögen eines Eignungstests: 25 Flüchtlinge wurden an der Grenze erschossen. Sie als Bundeskanzler*in haben nun das Skript einer Fernsehrede an die Nation zu schreiben.

Darin ist zu klären, warum die Schüsse erstens die einzig mögliche Option waren und warum das zweitens „sowohl notwendig, als auch moralisch war“. Was im ersten Moment als platte Kritik am Personal der Staatsgewalt daher kommt, entpuppt sich beim Grübeln schnell als etwas weit Tieferes: als schneidende Kritik an der Kategorie der Moral selbst.

In seiner Klarheit ist dieser treffsicher verunsichernde Moment eine große Ausnahme in dieser Schau. Denn wo der Mystizismus einer sich in der Prähistorie organisierenden Frauenbewegung gerade noch als Kritik am Patriarchat durchgehen mag, kippt spätestens der 45-minütige Film „Deep State“ hart in die Beliebigkeit.

Vor dokumentarische Aufnahmen verschiedener Demonstrationen und Straßenschlachten haben Mirza und Butler eine Art zeitreisenden Autonomen montiert, sowie eine Performerin dazwischen geschnitten, die vor sterilem Hintergrund in Lauten, Gesten und Mimik versucht, eine universelle Sprache des Protests zu entwickeln.

Was dabei auf der Strecke bleibt und bleiben muss, sind die Inhalte. Aus dem Kairo des „Arabischen Frühlings“ geht es über andere Auseinandersetzungen nach England, wahrscheinlich zu den Brixton Riots von 1981. Ganz genau klärt der Film das nicht – wichtiger ist ohnehin, dass es ihm völlig egal ist. Der Film zelebriert ausschließlich Bilder von Feuer, Rennen, Blaulicht und fliegenden Steinen: Softer Riot Porn, der ein bisschen Lust auch an der Gewalt des Gegners verrät, wenn er die blutigen Verletzten zeigt, wo die Polizei zugeschlagen hat.

Wirklich überraschend ist an dieser Kollage linker Erfahrungen eigentlich nur, dass es sowas heute noch gibt. Auch die selbstkritischen Momente sind nicht neu: Am Anfang brennt ein Fernseher im Bild, macht so eine ironisch-kritische Ebene auf, die sich dann auch weiter durch den Film zieht.

In den von dem Science-Fiction-Autor China Miéville stammenden Texten heißt es: „TV and cinema are occupied by the enemy, and I feel like an occupied territory.“ Hin und wieder ist das Bildschirmflackern im Gesicht des Zeitreisenden zu sehen, ein Hinweis vielleicht auf die eigene Verstrickung mit dem besetzten Medium.

Die vielen guten Kleinen gegen das böse Imperium

Aber selbst wenn – lauter tönen bei Mirza und Butler jedenfalls die Parolen vulgärer Globalisierungskritik: die vielen guten Kleinen gegen das übermächtige böse Imperium. Ihr Autor Miéville ist eine der großen Stimmen des antiisraelischen Kulturboykotts und steht nicht gerade für differenzierte Kritik.

Und so interessant vor allem die phantastischen Elemente der verschiedenen Arbeiten auch sein mögen. Am Ende überwiegt doch der Verdacht, dass der mystizistische Firlefanz hier doch zuallererst etwas verschleiern soll: die längst nachgewiesenen Schwachstellen radikal linker Allgemeinplätze nämlich, wo sie nur aus dem Bauch kommen.

Ausstellung bis 13. Januar 2019, Edith-Russ-Haus für Medienkunst, Oldenburg, Katharinenstr. 23

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