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Im Schatten des Meisters

Was hat Rembrandt gezeichnet, was stammt von seinen Schülern? Das Kupferstichkabinett zeigt Zeichnungen der Rembrandtschule und will dabei den Blick der Besucher*innen für die jeweilige Strichführung schärfen

Von Vanessa Prattes

Dass das Bild „Die Verkündigung an Maria“ aus der Feder zweier Künstler stammt, ist offensichtlich. Mit energischer, selbstbewusster Strichführung greift Rembrandt in die Zeichnung seines Schülers, des Stadtsekretärs Constantijn Daniel van Renesse, ein und korrigiert das detaillierte, mit farbiger Kreide und Lavierungen gestaltete Bild seines Schülers. Hinter dem kindlich wirkenden Engel erscheint ein weiterer, deutlich größerer Engel, der, umgeben von Licht, die Gestalt eines überirdischen Wesens einnimmt. Die räumlichen Strukturen werden mit diesen wenigen Strichen deutlich verstärkt und akzentuiert. Dass studierte und gebildete Laien wie van Renesse Zeichenunterricht bekamen, war während des Goldenen Zeitalters in den Niederlanden nicht unüblich.

Ganz so einfach, wie im Fall der „Verkündigung an Maria“ ist es bei anderen gezeichneten Rembrandtwerken nicht: Der ähnliche Stil der Zeichnungen aus der Rembrandtschule führt seit Jahrhunderten zu fehlerhaften Zuschreibungen. So gelten heute mehr als die Hälfte der Bilder, die der Wiener Kunsthistoriker und Direktor der Albertina, Otto Benesch, 1954–1957 in seinem Bestandskatalog Rem­brandt zugeschrieben hat, als Arbeiten von Rembrandts Schülern und Mitarbeitern.

Die Frage nach der Authentizität der Werke des holländischen Meisters führte in jüngsten Forschungen zu einer umfassenden Neubewertung, die nun in der Ausstellung „Aus Rembrandts Werkstatt. Zeichnungen der Rembrandtschule“ im Kupferstichkabinett anhand von rund einhundert Werken aus Rembrandts Umfeld präsentiert wird. Beim Durchschreiten der Ausstellung gestaltet sich die Zuordnung der Werke sowohl für Laien als auch für Rembrandt-Kenner als Herausforderung. Doch die Ausstellung schafft es, den Blick für die charakteristische klare Strichführung Rembrandts zu schärfen oder überhaupt erst einmal zu entwickeln.

„Die Verwechslung hat historische Ursachen“, sagt Holm Bevers, Hauptkustos und kommissarischer Direktor des Kupferstichkabinetts. Seine Leidenschaft für die Werke des Künstlers ist spürbar. Durch seine langjährige Beschäftigung mit den Werken sei sein Bild von Rembrandt als Zeichner konzentrierter geworden. Er habe nun eine „bessere Vorstellung davon, wie die Werkstatt funktioniert hat“.

Auf engem Raum, in unmittelbarer Nähe zum Künstler ­lernten Anfänger, gelernte Künstler und Kunstliebhaber die Kunst des Zeichnens. Von den 1630er Jahren bis in die 1660er Jahre strömten zahlreiche Schüler, 50 davon sind bekannt, zu dem namhaften Künstler Rembrandt Harmenszon van Rijn (1606–69) nach Amsterdam. Dort lernten sie, „Kompositionen und Inszenierungen dramatischer Geschichten zeichnerisch darzustellen, die Anlage von Licht und Schatten und des Ausdrucks der Figuren“, erklärt Bevers.

Der Stil von Rembrandt, den die Schüler oft übernahmen, sei für die Schüler prägend gewesen. In gemeinsamen Sitzungen skizzierten sie Landschaften im Freien oder arbeiteten Seite an Seite an Aktstudien. Neben der Themenauswahl aus Bibel, Mythologie und Geschichte teilten sie sich auch die Utensilien. Die Tatsache, dass Meister und Lehrling in der Werkstatt oft in das gleiche Tintenfass mit Eisen­gallustinte griffen, erschwert die Zuschreibung.

Aus diesem Werkstattbetrieb erklärt sich also die Gleichartig­keit der Zeichnungen. Ausgangs­punkt der Untersuchungen ist eine Kerngruppe von 75 Blatt, die gesicherte Zeichnungen, Skizzen und Radierungen des Künstlers sind, die er eigenhändig signiert oder als Skizzen und Entwürfe für Gemälde und Radierungen erstellt hat. Die Unterschiede seien oft „in der Strichführung erkennbar“, findet Bevers und weist auf die sogenannten Kostümstudien.

Beim Betrachten der beiden gezeigten Schauspielbilder, die vermutlich in einer gemeinsamen Sitzung im Atelier des Meisters entstanden sind, ist erkennbar, inwiefern die Strichführung eine Rolle spielt. Das Berliner Blatt wird heute dem Schüler Gerbrand van den Eeckhout zugeordnet und zeigt eine Frau in deutlich gleichförmigerer und homogenerer Strichführung, während Rembrandt in seiner Kostümstudie viel subtiler und differenzierter vorgeht. Interessant sind die Andeutung des Lichteinfalls an der Schulterkrause sowie das feine Gesicht der Frau. Es gelingt Rembrandt, Gesichter zu schaffen, an denen Gefühle deutlich ablesbar sind und die sich von den Werken der Schüler abheben. Erst nach Verlassen der Werkstatt entwickelten viele Schüler einen individuellen Stil, der nur noch entfernt an die Zeit im Atelier des Meisters Rembrandt erinnert.

Bis 18. November im Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz, Di.–Fr. 10–18, Sa., So. 11–18 Uhr

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