Die letzte Grenze loopen

Der Chicagoer Schlagzeuger und Beat-Doktor Makaya McCraven macht aus Improvisationen erst Clubtracks, dann aufregenden Jazz

Makaya McCraven Foto: Leslie Kirchoff

Von Steffen Greiner

„Das könnte unendlich weitergehen“, sagt Makaya McCraven und meint seinen Produktionsprozess. Der Loop als Arbeitsprinzip seiner Musik: Schleife um Schleife um Schleife. McCraven lässt seine Mitmusiker*innen drauflosspielen, zerschneidet das Material später zu Grooves. „Wir lernen diese Beat-Versionen, diese elektronischen Versionen des Ursprungsmaterials aus der Improvisation dann mit der Band und interpretieren diese Musik wie einen Jazzstandard.“ Und sie nehmen diese Versionen wieder auf, um neue Remixe zu erstellen, und immer so weiter. Einfacher Trick, spektakuläres Ergebnis: Makaya McCraven gilt als einer der auffälligsten Newcomer der letzten Jahre im Jazz und darf zu den Highlights des diesjährigen Jazzfest Berlin gezählt werden, das am Donnerstag eröffnet wird.

Das auch, weil bei ihm die vielbeschworene Verbindung zu HipHop nicht darin liegt, den HipHop-Sound durch Stör­elemente anders zu texturieren oder ein paar Raps über das übliche Jazzgewitter zu legen. Der Schlagzeuger versteht sich selbst als Beat-Wissenschaftler, die Einflüsse sind weit gefasst: Dazu gehören natürlich HipHop und Elektronik, mit denen er, Jahrgang 1983, aufgewachsen ist. Dazu gehört aber auch, dass sein Vater, Stephen McCraven, selbst Schlagzeuger war, unter anderem für den Saxofonisten Archie Shepp – ein Jazz-Intellektueller, für den die Musik immer auch die Frage schwarzen Selbstbewusstseins stellte. Konsequent, dass er heute oft im Umfeld des Art Ensemble of Chicago spielt, einer Formation, die die afrikanischen Wurzeln der Musik immer betonte. „Das Art Ensemble, die Association for the Advancement of Creative Musicians, Archie Shepp – das ist mir tief eingeschrieben. Ich bin mit Archie aufgewachsen. Das ist Teil meines Erbes. Genauso, wie meine Mutter Ungarin ist und ich ungarische Folklore liebe.“

Mitglieder des Art Ensembles sind auch auf seinem neuen Album zu hören, allerdings sind Junius Paul und Tomeka Reid ohnehin langjährige Wegbegleiter*innen. „Universal Beings“ heißt sein neues Album, und es ist ein musikalisches Statement aus vier verschiedenen Szenen, die McCraven in vier Settings begegneten, die aber doch eine universale Sprache finden – im Grunde steht das Werk in der Spannung zwischen globalem Denken und lokaler Verwurzelung, die sich hier allerdings, natürlich, in harmonischer Seligkeit auflöst: Der Jazz ist dann doch unkomplizierter als die wahre Welt, und natürlich ist der Titel hier ganz transzendent zu lesen – und auch politisch. Während der in Paris geborene, in Massachusetts aufgewachsene Musiker selbst in der traditionell uferlosen, genresprengenden Chicagoer Szene fußt, spielte er in London mit Menschen wie dem aufregenden Saxofonisten Shabaka Hutchings und dem Pianisten Ashley Henry, in L. A. mit Bassistin Anna Butters. New York, wo die ersten Tracks entstanden, klingt überraschend am wenigsten nach den Grooves des HipHop: Den Sound prägt hier etwa Harfenistin Brandee Younger. „Ich las, Chicago sei die neue letzte Grenze des Jazz. Aber dann beschwert sich doch Kamasi Washington in L. A.! Und London meldet sich! Vielleicht ist es einfach so, dass wir eine Renaissance des Genres erleben, die zwar von lokalen Szenen befruchtet wird, jede von ihnen tiefgründig und einzigartig – aber immer nur Teil einer größeren Bewegung.“

Der Loop, Prinzip seiner Musik: Schleife um Schleife um Schleife

Dass McCraven sich dezidiert im Jazz verortet, ist keine Frage der Musik. Vor einigen Jahren noch versuchte er, das Genre zu vermeiden, zu deutlich das Vorurteil seiner Generation, es sei Musik für alte weiße Männer. „Aber dann dachte ich mir: Das ist doch scheiße! Ich denke bei Jazz an Miles Davis und Charlie Parker – nicht an ihre Musik, sondern an die Typen. Charlie Parker war irre, der durchbrach jede Grenze! Das waren Provokateure“, erklärt er heute lachend. „Von dem Jazz erzähle ich, ohne dass ich so klingen muss. Ich mache Musik, die mein Verständnis von Jazz umfasst. Meine Geschichte, die Geschichte meines Vaters. Die hat nichts mit alten weißen Typen zu tun.“

Insofern das Jazzfest Berlin auch in diesem Jahr wieder versucht, der alternden deutschen Szene neue Impulse aufzuzwingen, passt Makaya McCraven bestens ins Line-up: Er spielt in einem Showcase gemeinsam mit Musiker*innen der Londoner und der Chicagoer Szene – Co-Star des Abends ist die junge Londoner Saxofonistin Nubya Garcia, die auch auf Makaya McCravens Album zu hören ist. „Ich will warme Menschen, die offen sind, die mich nahe kommen lassen“, so stellte McCraven die Kombos zusammen, die mit ihm im Studio waren. „Ich will Menschen, die mich inspirieren, mit denen ich mich gemeinsam verwundbar machen kann, von denen ich lernen kann.“ Man darf gespannt sein, welche Lern­effekte am Samstag im Prince Charles beim Publikum eintreten.

Makaya McCraven: „Universal Beings“ (International Anthem/H’art)