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Smartphones machen krank

Laut einer Erhebung einer Krankenkasse leiden Kinder und Jugendliche vermehrt unter ungewöhnlichen Krankheiten. Schuld sei die Nutzung digitaler Medien

„Es braucht Eltern, die mit gutem Beispiel vorangehen“

aus dem Gesundheitsreport „Kinder und Smartphones“

Von Alina Götz

Schlafstörungen, Fettleibigkeit, ADHS: Kinder und Jugendliche leiden häufiger unter Krankheiten, die für Heranwachsende früher eher untypisch waren. Das berichtet die Kaufmännische Krankenkasse (KKH), die Versichertendaten von unter 18-Jährigen im Zeitraum 2006 bis 2016 untersucht hat. Für die KKH-Psychologin Franziska Klemm zählt neben mangelnder Bewegung und unausgewogener Ernährung auch ein unkontrollierter Umgang mit digitalen Medien zu den Ursachen. Mehr als die Hälfte der Eltern sehen im Umgang mit digitalen Medien jedoch eine Chance für ihre Kinder, wie eine von der KKH in Auftrag gegebene Umfrage ergab.

Der erhoffte Nutzen werde vor allem im Erwerb technischer Kenntnisse, aber auch im Internet als Bildungsportal gesehen, wie der aus den Antworten von rund 1.000 Eltern entstandene Gesundheitsreport „Kinder und Smartphones: Wer hat wen im Griff?“ zeigt. Vor allem digitale Medien, zu denen Smartphones und Tablets zählen, sind laut Report präsent. Während im Kindesalter noch der Fernseher dominiert, greifen Jugendliche eher zum Smartphone.

In der Nutzung digitaler Medien erkennen die Eltern aber auch Risiken. An erster Stelle: Bewegungsmangel. Tatsächlich zeigen die ausgewerteten Versichertendaten der KKH einen Anstieg von Fettleibigkeit, Schlaf-, motorischen Störungen und der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Die KKH registrierte zudem eine starke Zunahme von Sprach- und Sprechstörungen.

Dass ADHS laut KKH um 37 Prozent zugenommen habe, wundert Christoph Möller, Chefarzt der Jugendpsychiatrie Hamburg, nicht. „Wenn man 150 Mal am Tag durch die Smartphone-Nutzung unterbrochen wird, dient das sicher nicht der Konzentrationsfähigkeit.“ Nicht alle hätten eine starke Impulskontrolle, um sich durch ein Piepgeräusch nicht sofort ablenken zu lassen. Später nachgucken – das mache kaum jemand mehr, so Möller. Bereits andere Studien hätten belegt, dass auch Fettleibigkeit und Medienkonsum zusammenhängen, berichtet Möller der taz. „Fernsehen spielt dabei eine dominierende Rolle, Smartphones kommen noch on top dazu.“

Besonders bei Schlafstörungen sei der Zusammenhang zur Mediennutzung deutlich: „Jugendliche gehen häufig mit dem Smartphone ins Bett“, sagt Möller. Das Licht der Geräte sei aber schlecht für die Ausschüttung von Melatonin – ein Hormon, welches für einen geregelten Tag-Nacht-Rhythmus sorgt. Tatsächlich habe sich der Anteil der 15- bis 19-Jährigen mit ärztlich diagnostizierten, nicht organisch bedingten Schlafstörungen laut der Krankenkasse mehr als verdoppelt.

Die Ergebnisse der Elternbefragung untermauern dies: Fast alle Jugendlichen nutzen häufig oder sehr häufig das Smartphone, jede*r Vierte kommuniziert täglich mehr als drei Stunden über soziale Netzwerke, Messenger und Ähnliches. Außerdem berge der Medienkonsum laut Psychologin Klemm die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche Entwicklungschancen in der analogen Welt verpassten.

Wie gehen Eltern damit um? Die überwiegende Mehrheit der Befragten gibt zunächst an, über das Nutzungsverhalten des Nachwuchses im Bilde zu sein. Zudem würden gut 70 Prozent den Konsum reglementieren, so der Gesundheitsreport. An erster Stelle stehe hier eine zeitliche Beschränkung mit einer Kon­trolle der Inhalte. Auch Klemm empfiehlt das Aufstellen von Regeln: „Eltern sollten ihr Kind langsam mit digitalen Medien vertraut machen.“ Sowohl das Wissen über die Nutzung als auch die Kontrolle darüber lasse nach Angaben der Eltern jedoch mit zunehmendem Alter des Kindes nach.

Laut Klemm sei entscheidend, digitale Medien verantwortungsvoll und reflektiert zu nutzen und sich nicht von ihnen abhängig zu machen. Für diese Vermittlung ist für ein Drittel der Befragten die Schule zuständig. Fast alle Eltern sehen sich aber selbst in der Hauptverantwortung. Für eine erfolgreiche Erziehung der sogenannten „Digital Natives“, also der Kinder, die mit digitalen Medien aufwachsen, brauche es laut Gesundheitsreport „Eltern, die über nötige Kenntnisse verfügen und in ihrem Nutzungsverhalten mit gutem Beispiel vorangehen.“

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