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Ein Schabenund Scheuern

Im Universum des Exploding Star Orchestra: Am Donnerstagabend wurde das Jazzfest Berlin eröffnet

Von Jens Uthoff

Die Eingänge im Haus der Berliner Festspiele sind in diesen Tagen hell erleuchtet. Eine Lichtinstallation umgibt sie; man bewegt sich durch quadratische Rahmen aus weißem LED-Licht hindurch. Wie durch Schleusen in eine andere Welt.

Das sind sie gewissermaßen auch, denn vier Tage lang findet hier nun das Berliner Jazzfest statt. Am Donnerstagabend wurde es mit insgesamt zehn Konzerten auf vielen unterschiedlichen Bühnen eröffnet. „Haus of Jazz“ hat die neue Festivalleiterin Nadin Deventer den ersten Jazzfesttag betitelt, in Anspielung an die einigermaßen gescheiterte Idee eines „House of Jazz“, die Startrompeter Till Brönner für die Hauptstadt ersonnen hatte.

Als ich am späten Abend eintreffe, steht bereits das Finale des Eröffnungstages an. Das vom US-Kornettisten Rob Mazurek geleitete Exploding Star Orchestra tritt auf, mit „Galac­tic Parables Vol. II“ setzt der Chicagoer Jazzmusiker eine 2015 begonnene Gleichnis-Reihe fort. Mazurek erzählt Parabeln von Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Menschenwürde, und wo doch die Erde für derlei Ideale ein so hoffnungsloser Fall ist, verlegt er diese Utopien wie einst Sun Ra ins Weltall.

Neun Musiker_innen aus Chicago teilen sich mit sechs Berliner Musiker_innen die Bühne, somit finden zwei der weltweit aufregendsten Szenen für Free Jazz und Echtzeitmusik zusammen. In dem All-Star-Avantgarde-Ensemble spielen unter anderem Drummer Chad Taylor, Flötistin Nicole Mitchell und Vibraphonistin Els Vandeweyer.

Und wie radikal und frisch das klingt! Mazurek, ein stämmiger Kerl, steht zunächst vor dem Orchester und läutet mit einem Glockenspiel. Mit nervösen, urtümlichen Klängen beginnt das Ensemble, es ist ein Wiehern, Wispern und Wimmern zu hören; beunruhigt, aufgeschreckt klingt der Sound. Dank eines stetig wechselnden Klangbildes, dank eines breiten Ausdrucksspektrums wird es dann im Lauf des rund einstündigen Sets keine Sekunde langweilig. Am besten gefallen mir die extrem reduzierten, minimalistischen Parts, in denen man nur ein kaum wahrnehmbares Schaben und Scheuern hört. Oder in denen es so scheint, als klimpere in weiter Ferne, vielleicht auf einem anderen Planeten, ein Windspiel vor sich hin.

Für die dynamischeren Passagen und den Wums zeichnen dann vor allem der leichthändige Schlagzeuger Chad Taylor, die Flötistinnen Nicole Mitchell und Sabine Vogel sowie Cellistin Tomeka Reid verantwortlich. Sie sorgen dafür, dass es zwischenzeitlich funky und groovy wird, danach aber geht es sehr schnell wieder sehr ruhig zu, wenn Julia Reidy leise, nuancenreich über ihre Gitarre streicht. Nur die Spoken-Word-Einsprengsel – Damon Locks spricht mit verzerrter, megafonartiger Stimme aphoristische Sätze – entfachen nicht die ganz große Wirkung. Im ersten Teil der „Galactic Parables“ waren sie wesentlich stärker.

Was nichts daran ändert, dass man tief hineingezogen wurde in das Universum des Exploding Star Orchestra und dies gern mit sich geschehen ließ. Wer zusah, wie die 15 Musiker_innen aufeinander abgestimmt waren, wie sie imstande waren, Raum einzunehmen, aber auch Raum abzugeben, der konnte das aufklärerische Moment der improvisierten Musik darin entdecken. Mag sein, dass Improvisationsmusik in Zeiten der Gegenaufklärung gerade deshalb so angesagt ist und so progressiv wirkt.

Wie auch immer: Für die kommenden Tage des Jazzfests ist man nach dieser Eröffnung ganz sicher angefixt.

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