: Willkommen, mein Spiegelei
Vielzüngigkeit als Programm: Der Autor Max Czollek hat am Mittwochabend für „Casino Babel International“ im Literarischen Colloquium LCB am Wannsee zwei Lyrikerinnen und zwei Lyriker eingeladen
Von René Hamann
Max Czollek ist ein Held der Stunde. Sein im Sommer erschienenes Buch „Desintegriert euch!“ hat den allgemeindeutschen Migrationsdiskurs um eine jüdisch-deutsche Perspektive erweitert und mit einer Absage an den von oben erwarteten Kuschelkurs der Minderheiten versehen. Wobei seine Streitschrift und ihre Aussage nicht nur Lobeshymnen kassiert hat, so stand etwa in der Literaturbeilage des Spiegel eine mehr als nachvollziehbare Kritik: Identitätspolitik mit Identitätspolitik zu bekämpfen sei letztlich tautologisch. Wie überhaupt, das ist auch oft mein Gedanke bei diesen Diskussionen, „linke Identitätspolitik“ ja eigentlich ein Widerspruch in sich ist.
Aber darum sollte es hier eigentlich nicht gehen. Das altehrwürdige LCB am Wannsee hat Czollek jetzt eingeladen, einen eigenen Abend der dort schon etablierten „Casino“-Reihe zu kuratieren; und Czollek, ein junger Mann mit Hut und Ausstrahlung, der sich nicht scheut, sich selbst auf der Bühne als Lyriker zu bezeichnen, hat sich dafür entschieden, zwei Lyrikerinnen und zwei Lyriker zum „Casino Babel International“ einzuladen und somit zwei Betätigungsfelder miteinander zu vereinen. Wie der Name schon sagt, geht es also um Ansätze, die über das eingegrenzt Regionale und Einsprachige hinausgehen. Die Vielzüngigkeit war also Programm an diesem Mittwochabend, Halloween, im weit draußen gelegenen, dunklen Berliner Stadtteil Wannsee. Es war, so viel schon mal an dieser Stelle, ein äußerst unterhaltsamer und kurzweiliger Abend. Die Zusammenstellung sehr verschiedener Ansätze, sowohl performativer wie auch, sagen wir, poetischer Art, ist durchaus gelungen.
So hat Niklas L. Niskate, Performance- und Lautdichter aus Berlin, derzeit in Österreich, mittels eines Loop-Geräts aus Text Musik gemacht. Ein Ansatz, wie ihn auch der übergroße, viel zu wenig beachtete Reggie Watts aus den USA im Bereich der Comedy macht oder wie man ihn noch von Bobby McFerrin kennt, nur dass der noch kein Loop-Gerät hatte. Nur ist es Niskate nicht um Lustigkeit bestellt. Sondern um Ernsthaftigkeit. Um Auflösung von Ich und Identität in und mit Text. So braucht er zwar Anleihen beim Froschkönig („Heinrich, der Wagen bricht“), bleibt aber ansonsten ganz bei sich: Niskate ist sich sein eigener Kirchenchor, der dank Beatbox zum Denken und Tanzen einlädt.
Anders, aber nicht weniger interessant die Performance von Zoltán Lesi aus Ungarn, der sich einen MP3-Spieler mit Frauenkopf um den Hals gehängt hatte und Ungarisch mit Deutsch und vice versa overdubbte. So erzählt eine aus der Dose quäkende Frauenstimme vom Hochsprungwettbewerb der Olympischen Spiele 1936, wie man es auch schon aus dem Film „Berlin ‚36“ kennt, während Lesi einen weiblichen Nazitext mit weichem ungarischen Akzent vorträgt und dabei stehend in sein ausgebreitetes Faltblatt kriecht. Das alles hatte merkwürdig lustige Seiteneffekte: „Sie hatte nicht nur die Latte zu befürchten“, hieß es da zum Beispiel, und ein Heinrich kam auch vor.
Bespielt wurde fast das gesamte Haus des LCB, einer ehemaligen Villa eines Unternehmers, die auch tatsächlich einmal ein Casino beherbergte. Die Damen warteten in Hälfte 2 des Abends im oberen Stockwerk. Die Dichterin Rebecca Gisler „lebt und schreibt zweisprachig in Paris, der Bretagne und der Schweiz“, und was sich zunächst als eine dieser typischen globetrottenden Literaturbetriebskarrieren anhört, unangetastet von sozialen Wirklichkeiten, wird im vorgetragenen Text dann zu einer schön verschraubten Fahrt durch den Alltag, durch Sinnzusammenhänge, durch Gebiete, durch die Sprachen. „Willkommen, mein Spiegelei“, fängt dieser Text an, den Gisler im Atrium von einer Endlospapierrolle abliest. Ein Prosagedicht mit Rotlicht.
Danach wird Tee gereicht; Ronya Othmann, derzeit Literaturstudentin in Leipzig, hat es sich im Büro des Chefs gemütlich gemacht und liest einen Text aus dem kurdischen Teil der Türkei vor, in dem es naturgemäß viel um Gewalt und alte Männer beim Tee geht. Auch hier warten Märchenreferenzen („Wer hat von meinem Schüsselchen gegessen?“) und andere Sprüche (Stichwort: Blaukraut), auch wenn sie etwas subtil in den fortlaufenden Text gearbeitet sind. Insgesamt fiel dieser Teil gegenüber den anderen aber leider etwas ab.
Tatsächlich jedoch wäre es schade, wenn der Abend eine einmalige Angelegenheit bleiben würde. Denn es bleibt festzuhalten: Idee und Umsetzung gut. Zum Abschluss gab es übrigens noch Musik.
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