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Keine Kondome für die BBC

Liebe ist ein tödliches Gift, und die Band nicht mehr ganz original: Gang of Four spielten im Berliner SO36

Der Konsum von Postpunk animiert jedes Jahr noch mehr junge Menschen, eine Band zu gründen

Von Ulrich Gutmair

Andreas und Peter lungern mitten im Konzert im Raucherraum vom SO36 rum und regen sich auf. Castingband! Coverband! Gang of Four, 1977 in Leeds gegründet, stehen mit nur einem von vier Gründungsmitgliedern auf der Bühne: Es ist Gitarrist Andy Gill, dessen minimalistischer, schriller Sound klingt wie eh und je.

Als er anfangs allein auf die Bühne tritt, lässt er lang das Feedback hören, mit dem „(Love Like) Anthrax“ beginnt, eine radikale Absage an den Love Song. Auf dem linken Kanal wird gesungen und auf dem rechten Kanal ein Text gesprochen: „These groups and singers think that they appeal to everyone by singing about love, because apparently everyone has or can love or so they would have you believe anyway.“

Gang of Four sahen das of­fensichtlich anders: „Love’ll get you like a case of anthrax. And that’s something I don’t want to catch.“ Liebe ist ein tödliches Gift! Ein Verblendungszusammenhang aus dem Labor des Spätkapitalismus? Angeblich sollen Gang of Four von der Frankfurter Schule beeinflusst sein. Ich vermute ja eher von Foucault.

Aber zurück ins SO36: Auch die aus Drummer Tobias Humble und Bassist Thomas McNeice bestehende Rhythmusmaschine gibt, Castingband hin oder her, keinen Anlass zur Klage. Die beiden spielen den tighten Funk, der Gang of Four immer ausgezeichnet hat. Im Grunde stört nur die Performance von John „Gaoler“ Sterry das Bild, der sich gebärdet, als sei er ein Popstar, der vielleicht sogar mal gern über die Liebe singen würde. Der Mann fährt sich ständig durch die Haare, wechselt überambitioniert von einem Mikro zum anderen und posiert, als hätte es Punk nie gegeben.

Das Publikum, Leute zwischen vierzig und sechzig, die Gang of Four in ihrer Jugend gehört haben, reagiert anfangs verhalten, lässt sich aber von der Gang überzeugen. Auch einige Hipster haben sich eingefunden, was nicht verwundert, animiert der Konsum von Postpunk doch jedes Jahr noch mehr junge Menschen dazu, eine Band zu gründen.

Letzten Freitag etwa konnte man im Berliner Kastanienkeller, einem gallischen Dorf mitten im durchgentrifizierten Prenzlauer Berg, Aus hören. Die vier Frauen von Aus spielen einen stoischen Sound, der mehr von Joy Division als von Gang of Four inspiriert ist, und rühren sich selbst auf der Bühne kaum. Das wünschte man sich im SO36 auch: Einen Sänger, der einfach mal stillhielte und sich am Understatement seines Kollegen Andy Gill ein Beispiel nähme.

Die größte Power geht von den ältesten Stücken der Band aus. „Damaged Goods“ klingt noch heute frisch. Es war die erste Single der Band. Im Sommer 1978 aufgenommen, avancierte „Damaged Goods“ zu einem der Lieblingsstücke von John Peel.

Ein Jahr später wurden sie mit ihrer Single „At Home He’s a Tourist“ zu Top of the Pops eingeladen. Allerdings verlangte die BBC, die Band solle nicht über die „Rubbers“, also Kondome singen, die der Protagonist des Songs in der Brusttasche trägt. Stattdessen solle es „Rubbish“ heißen. Gang of Four machten nicht mit.

Als sie das Stück im SO36 singen, kann man hören, dass die Stimme von John Sterry derjenigen von Ur-Sänger Jon King gar nicht so unähnlich ist, was noch einmal den Verdacht bestätigt, dass Gang of Four trotz ihrer Liebe zu Noise und Dissonanz immer schon eine Affinität zu catchy Popsongs hatten. Das kriegst du aus den Briten nicht raus.

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