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Archiv-Artikel

Blutiger Schnappschuss

Nicht gegendarstellungsfähig (XVII): Die Berliner Polizei stellt gerne Verhaftete bloß. Das muss geahndet werden

Ende April 2005: Ein von Medien so genannter Mafiaboss liegt rücklings am Boden. Sein Gesicht ist zerschlagen als Folge seiner Festnahme durch ein vermummtes SEK. Der Mann behauptet später, sich passiv in das Schicksal seiner Festnahme gefügt zu haben. Seine Hände sind auf den Rücken gefesselt. Ein vermummter SEK-Mann zieht sein blutbeflecktes T-Shirt hoch und zeigt seinen Hüftspeck. Die anwesenden Journalisten fotografieren und filmen den Mann in seiner hilflosen Lage, kein Polizist hindert sie daran, trotz deutlicher verbaler Beschwerde des Mannes.

Der Berliner Boulevard feiert hernach mit den Bildern schadenfroh den tiefen Fall des „Präsidenten“. Es heißt, dass der Mann durch sein anmaßendes Auftreten in der Öffentlichkeit (er hat Interviewwünsche erfüllt) seit längerem verärgert und provoziert hat. Obschon die Umstände der Aktion massiv medienöffentlich wurden, ist von disziplinarischen Sanktionen gegen die an Festnahme und Medienshow beteiligten Polizeibeamten nichts bekannt. Das Landgericht Berlin bewertet in einem Zivilurteil die Bildveröffentlichungen als Verletzung der Menschenwürde.

Nur ein paar Monate später veröffentlichten Boulevardmedien erneut Bilder von Festgenommenen, diesmal von angeblichen Kleindealern.

August 2005: Einen Tag vor dem Viertligaspiel BFC Dynamo gegen FC Union fallen Spezialkräfte der Polizei (unter Teilnahme eigens angereister auswärtiger Kräfte) in eine Diskothek ein, in der sich unter anderem als rechtsradikal und extrem gewaltbereit geltende Dynamo-Hooligans versammelt haben, um eine Hochzeit zu feiern. Nach Augenzeugenberichten schlagen Polizeibeamte die anwesenden Gäste sofort nieder, bringen sie zu Boden, fesseln sie, und lassen sie in diesem Zustande stundenlang warten. Berichten zufolge soll den Leute nicht einmal gestattet worden sein, Toiletten aufzusuchen. Teilnehmer der Feier berichten, dass die Presse mit der Polizei gekommen sei. Es gibt Bilder von Festgenommenen mit stark blutenden Kopfverletzungen. Später heißt es, es habe starke Verärgerung bei der Polizei über vorangegangene Gewalttätigkeiten der BFC-Hools gegen Polizeibeamte gegeben. Ziel der Aktion sei deren nachhaltige Abschreckung und eine Art Revanche gewesen. Außerdem – so wird von Betroffenenanwälten vermutet – habe man für die Weltmeisterschaft 2006 „üben“ müssen. Erste Behauptungen, nach denen die Polizei Widerstand der Feiergesellschaft brechen musste, musste der Polizeipräsident später relativieren. Der Mann, der die Aktion erst rechtfertigte, lässt nun – nach massiven Vorwürfen – strafrechtlich gegen die beteiligten Polizisten ermitteln. Sein Sprecher jedoch stößt vorsorglich Drohungen gegen einen Fanbeauftragten aus, der die Aktion öffentlich kritisiert.

Es scheint, die Berliner Polizei begibt sich mit ihren Lieblingsfeinden in psychodynamische Gewalt-Dialoge und stellt diese aus – inszeniert in menschenverachtenden Bloßstellungen ihrer Opfer. Das passt zu Reality-TV- Shows, in denen sich Menschen in Würdelosigkeiten flüchten, um gesehen zu werden. Doch die Polizei darf das nicht: Verletzungen der Menschenwürde müssen stehenden Fußes von der Führung verfolgt werden. Wenn solche Taten aber auch noch öffentlich zur Schau gestellt werden, und damit gezeigt wird, dass sich die Täter im guten Rechte wähnen, dann ist die Abwesenheit von sofortigen und harten Reaktionen der Behördenleitung für sich bereits ein Skandal. Und fördert Nachahmungen!JONY EISENBERG