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Dem Andenken eines Karnickels

Foto: Elí Klose

Von Benno Schirrmeister

Früher dachte ich, Kaninchen sind eher beschränkt, und vielleicht stimmt das auch. Aber für Luna hat es definitiv nicht gegolten. Luna war autonom, charakterstark und alles andere als ängstlich. Sie hatte die Kampfkraft des weißen Kaninchens aus dem Monty Python Klassiker „Die Ritter der Kokosnuss“, nicht aber seine Aggressivität. Jetzt ist sie tot, aber nicht im Kampf gestorben.

Das ist ein wichtiger Zusatz. Denn Luna konnte kämpfen. Und sie tat es auch. Sie muss es gewesen sein, die unsere Katze vor den nächtlichen Attacken der streunenden Kater der Umgebung verteidigt hat: Nie, nicht einmal als sie zuletzt nur noch altersschwach vor sich hinmümmelte, hat sich einer von ihnen in den Garten getraut. Wer ihr gefährlich schien, wurde zunächst mit einem gewaltigen angetäuschten Schlag des rechten Hinterlaufs auf den Boden verwirrt, dann per Kopfstoß gerammt. Mit so etwas wollten die ranzigen Biester sich offenbar nicht anlegen. Seit Luna aber tot ist, kehrt die Katze immer häufiger humpelnd, zerkratzt und gebissen von ihren nächtlichen Streifzügen zurück.

Haben Kaninchen Selbstbewusstsein? Luna hatte es: Den Stall nutzte sie, wenn es draußen zu regnerisch oder zu kalt war. Vor allem aber war es ihr möglich, Kontakt zu Menschen nicht nur herzklopfend auszuhalten, sondern ihn zu suchen, sich an das Hosenbein zu drücken, wenn sie etwas wollte, wie Futter oder Wasser, und sogar, sich kurz und scheu streicheln zu lassen, am Morgen. Sie konnte den Kontakt auch ruppig abbrechen, wenn er lästig wurde: Luna war aus der Wildnis zu uns gekommen, und ob sie wirklich Luna hieß, wissen wir nicht. Sie war ein Zuchtkaninchen, aber aus ihrem Kerker ausgebrochen und nach längerem Aufenthalt irgendwo im Unterholz bei Fischerhude – es müssen Monate gewesen sein – einer Frau zugelaufen. Die konnte das Tier zunächst versorgen, aber nicht dauerhaft. Also nahmen wir sie zu uns: Bei uns war damals einer von zwei Karnickel-Brüdern an einem angeborenen Herzfehler gestorben. Allein sein ist schlecht.

Luna nahm ihn dann unter ihre Fittiche. Sie brachte ihm bei, wie man unter dem Zaun hindurchgraben kann, wie es möglich ist, im Misthaufen einen sehr schönen Einfamilienbau einzurichten. Und wie er sich mit Blumen hübsch dekorieren – denn hinter ihrer rauen Schale verbarg sich eine hohe ästhetische Sensibilität – oder mit Rasen luxuriös auspolstern ließ: Sie rupfte dafür vor seinen Augen Gras, klemmte es sich unter die, meist noch von den Erd- und Schachtungsarbeiten verdreckte Schnauze, hoppelte, sich mehrfach nach ihm umschauend, in Richtung der Höhle, die sie in den Kompost gebuddelt hatte, verschwand dann darin, und kehrte ohne Gras zurück. Der Partner guckte meistens nur groß. Er verstand nichts. Er fühlte sich überfordert. Ein Männchen halt. Irgendwann konnte er nicht mehr und ist vermutlich daran gestorben, dass er ihren Ansprüchen nie hatte genügen können.

Ihr letztes Projekt hat Luna nicht mehr zu Ende gebracht. Sie wollte unseren japanischen Zierapfel fällen. Sie hat den Stamm bereits einmal rundum abgenagt, der Baum hat keine Chance mehr, aber was sie damit plante, wissen wir nicht und werden es nie erfahren.

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