: Türen auf oder zu?
Die Geburt eines Kindes ist ein besonderes und einzigartiges Erlebnis. Kein Wunder, dass es in fast allen Kulturen Rituale und Bräuche rund um Schwangerschaft und Geburt gibt
Von Laila Oudray
Großes Glück und lähmende Angst: Bei kaum einem Ereignis im Leben eines Menschen liegen diese Emotionen so nah beieinander wie bei der Geburt eines Kindes. Zur Freude über den Neuankömmling mischen sich verschiedene Sorgen: Wie wird es die Mutter überstehen? Wird das Kind überleben und später ein glückliches Leben führen können?
Angesichts solcher Fragen und Ungewissheit, ist es kein Wunder, dass es in vielen Kulturen Rituale zur Geburt gibt. Sie sollen den Schmerz der Mutter lindern, das Kind willkommen heißen und den Grundstein für ein schönes Leben legen.
Die Bräuche müssen dabei nicht zwangsläufig mit großen Gesten einhergehen. Manchmal geht es um Fragen wie beispielsweise: Türen auf oder zu? So werden in Thailand bei einer Hausgeburt häufig die Türen und Fenster geöffnet. Das soll für eine Entbindung ohne Hindernisse sorgen, weil die geöffneten Türen die Öffnung des Muttermundes symbolisieren. Die indigenen Huicholen in Mexiko dagegen verschließen alle Türen und Fenster. Jede noch so kleine Ritze wird mit Stoff gestopft. Durch die Quasi-Abriegelung des Geburtsraums soll die werdende Mutter vor schlechten Einflüssen geschützt werden.
Egal ob die Türen geöffnet oder hermetisch verschlossen sind, wenn die Geburt eingeleitet wird, kommen auf die Frau große Schmerzen zu. Doch nicht immer soll sie diesen auch Ausdruck verleihen. Babybloggerin und Autorin Nadine Luck beschreibt in ihrem Buch, „Die Nabel der Welt“, wie die Ewe in Togo glauben, dass Schmerzensschreie während der Geburt Dämonen anlocken. Daher soll die werdende Mutter auch angesichts schwerer Wehen so still wie möglich sein.
Eine stille Geburt ist auch in Japan lange das Ideal gewesen. Dort galt es als Schwäche, wenn Frauen während der Entbindung allzu laut stöhnen. Auch auf eine Periduralanästhesie sollten sie verzichten. Doch diese Praxis wird immer heftiger kritisiert und gilt vielen inzwischen als veraltet. Darum wird eine PDA mittlerweile auch in Japan immer öfter in Anspruch genommen.
Doch ob laut oder still, irgendwann kann eine Mutter endlich ihr Kind in den Armen halten. Und schon die ersten Minuten des Lebens des Säuglings sind ritualisiert. Viele Bräuche und Mythen drehen sich dabei um die Nabelschnur. In Deutschland und vielen westlichen Ländern ist es meist der Vater, der die Nabelschnur mit einer Schere durchtrennt. In Vietnam nutzt man dafür allerdings keine Schere, sondern ein Bambusmesser oder auch Glasscherben. Metall ließe das Kind ertauben, so die Begründung. In Japan wiederum wird die Nabelschnur gereinigt, getrocknet und in einer speziellen Box, kotoboki bako genannt, gelegt und der Familie übergeben. Sie soll für ein gutes Verhältnis zwischen Mutter und Kind sorgen.
Wenn ein neues Leben das Licht der Welt erblickt, ist es fast immer ein Grund zur Freude. In vielen Kulturen der Welt gibt es daher verschiedene Bräuche, das Baby willkommen zu heißen und in der Gesellschaft aufzunehmen. In Indien gibt es die hinduistische Zeremonie Jatskarma. Dabei berührt der Vater des Kindes dessen Lippen mit Honig und Ghee, einer Art Butterschmalz. Wenn es dann von der Mutter gestillt wird, rezitiert der Vater verschiedene Hymnen aus der Samhita.
In Ghana gibt es das sogenannte outdooring. Dabei lernt das Kind das erste Mal seine Umwelt kennen. Hintergrund des Festes ist, dass Säuglinge nach der Geburt als Besucher aus einer anderen Welt und noch nicht als „richtige“ Menschen gelten. Beim outdooring wird das Kind das erste Mal nach draußen geführt, erhält seinen Namen und lernt seine weitere Familie und Freunde kennen. Erst danach gilt das Kind als Mensch. Das outdooring ist auch in Zeiten der Krankenhausgeburten, wenn das Kind schon mit dem Verlassen des Krankenhauses das erste Mal die Welt entdeckt, ein wichtiges Fest. Es gibt der Familie und den Freunden die Möglichkeit zusammenzukommen und zu feiern.
Nach der Geburt muss sich die Mutter schonen und ausruhen. Es kann sechs bis acht Wochen dauern, bis sich die schwangerschaftsbedingten Veränderungen des Körpers zurückgebildet haben. In der Vergangenheit sind viele Frauen im Wochenbett gestorben, deswegen gilt die Frau in vielen Religionen und Kulturen in dieser Zeit als besonders schutzbedürftig. In vielen Ritualen liegt daher die Schonung der Frau im Fokus. Im Judentum wie auch im Islam gilt die Sitte einer 40-tägigen Abgeschiedenheit, in der die Wöchnerin das Haus nicht verlassen und auch auf religiöse Praktiken verzichten soll. Wie streng diese Abgeschiedenheit aber tatsächlich praktiziert wird, ist Auslegungssache.
Auch im nicht religiösen Kontext wird dem Wochenbett eine besondere Bedeutung zugemessen und ist dementsprechend ritualisiert. In Südkorea bekommt die Frau in der ersten Zeit nach der Geburt Miyeok-guk, eine Algensuppe. Und Nadine Luck berichtet von einem Suppenrezept aus Nigeria mit viel rotem Pfeffer. Das soll die Wundheilung des Uterus beschleunigen. Auch in Honduras mögen die Wöchnerinnen es warm: Sie trinken heiße Schokolade und meiden kaltes Essen wie beispielsweise Gurken.
Ob nun die Türen geöffnet oder geschlossen sind, die Nabelschnur mit einer Schere oder mit Glas durchtrennt wird: Rituale sollen bei einem emotional so aufwühlenden Ereignis wie der Geburt Sicherheit und Orientierung bieten. Denn so unterschiedlich sie auch sein mögen, hinter den Ritualen steckt ein universeller Wunsch: dass Mutter und Kind die Geburt gut überstehen und ein langes, glückliches Leben führen.
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