Die störenden Opfer

Studierende aus der Ukraine, Russland und Bremen untersuchen, wie sowjetischer Kriegsgefangener gedacht wird. Und wie man die Erinnerung an sie unterdrückt, weil sie nicht ins heroische Selbstbild passen

Von Klaus Wolschner

Eine Begegnung besonderer Art an der Uni: Studierende aus Dnipro in der Ukraine trafen vergangene Woche mit Studierenden aus Rostov und Moskau sowie einer Gruppe aus Bremen zusammen. Ihr Thema: vergessene Opfer – die sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs. Eine Untersuchung der Erinnerungskultur in den drei Ländern untersuchen – ihrer Orte und Rituale.

„Das ist unsere gemeinsame Geschichte“, so eine Studentin aus Moskau. In Deutschland gehörten die Kriegsgefangenen lange Zeit zu „den Russen“, gegen die mancher selbst nach 1945 noch den Krieg am liebsten weitergeführt hätte. Die sow­jetischen Kriegsgefangenen – von den etwa 5,7 Millionen internierten Soldaten der Roten Armee starben rund drei Millionen – bilden nach den Juden die zweitgrößte Opfergruppe des Naziregimes. Eine förmliche Entschädigung allerdings lehnte der Bundestag im Jahre 2015 ab. Es gab nur eine Anerkennungszahlung, 2.500 Euro für jeden, der noch lebte.

Dabei stießen die Bemühungen, Überlebende zu identifizieren in Russland und der Ukraine auf ein Problem: Rückkehrende Kriegsgefangene waren misstrauisch als vermeintliche Feiglinge behandelt worden. Nicht selten landeten sie in der Sowjetunion erneut in Lagern. Bis heute wird in Russland der Widerstand gegen Hitler-Deutschland zur Heroisierung der eigenen Nation genutzt. Gefangene passen da nichts ins Bild: „Sie hatten Angst, darüber zu sprechen“, erklärt ein Student aus der Ukraine. Viele haben alle Unterlagen vernichtet.

Für ehemals sowjetische Staaten wie die Ukraine und auch Weißrussland ist dieses Tabu erst seit 1989 langsam aufgebrochen worden. Die weißrussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat diesen Prozess schriftstellerisch in wunderbarer Weise aufgearbeitet.

Aber solche Stimmen sind selten, und die Begegnung zwischen Studierenden aus der Ukraine und solchen aus Russland ist eigentlich nur möglich, weil das in einem trilaterialen Projekt auf deutsche Initiative passiert. „Diese Kriegsgefangenen haben keine Lobby“, stellte einer der Studenten fest.

In Arbeitsgruppen wollen die Studierenden in allein drei Ländern das Thema weiter bearbeiten. Das nächste Treffen ist für Februar 2019 in Dnipro in der Ukraine geplant. Am Ende soll im August 2019 ein „Memory-Wiki“ online gehen, eine interaktive Plattform mit Informationen zu den „vergessenen Opfern“, die offen ist für die Beiträge anderer.

Organisiert wird das Projekt vom Verein „KONTAKTE-KOHTAKTbI“, dessen Freundeskreis in Bremen rund um frühere Betriebsräte der Stahlwerke die Geschichte der Zwangsarbeiter auf der Hütte aufgearbeitet haben. Ihre Ausstellung „Russenlager“ zeigt das Bürgerhaus parallel zum Besuch der Studierenden: In Bremen waren von 1941 bis 1945 stets fast 2.000 sowjetische Kriegsgefangene interniert, die zur Zwangsarbeit bei Borgward, Focke-Wulf und der Vulkan-Werft eingesetzt wurden. In großem Stil griff auch die Kriegsmarine auf sie für den Bau der gigantischen U-Boot-Fabrik Bunker Valentin zurück, der heute ebenso wie das „Russenlager“ in Sandbostel Gedenkstätte ist.