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StadtgesprächMichael Braun aus San Vito Lo CapoPasta? Nee. Im sizilianischen San Vito Lo Capo reden derzeit alle über Couscous

Die marokkanische Hym­ne erklingt, die Zuschauer und die Jury erheben sich von ihren Plätzen, mit ermutigendem Beifall empfangen sie die junge Frau, die sichtlich angespannt hinter ihrer von einem Mädchen vorangetragenen Landesfahne die Wettkampfstätte betritt. Zahira Fenouri aus Casa­blanca wird gleich gegen die Palästinenserin Shady Hasbun antreten, um im direkten Ausscheidungswettkampf zu ermitteln, welche der beiden das Finale am Samstag erreicht.

Es geht zu wie bei einem internationalen Sportereignis, doch nicht athletische Fähigkeiten sind hier gefragt. Von Profession sind die beiden Köchinnen, und sie treten beim Couscousfest im sizilianischen San Vito Lo Capo an. Wie jedes Jahr Ende September sind zehn Nationen geladen, in dem kleinen Badeort ganz im Westen Siziliens ihre Kräfte zu messen in der Zubereitung jener Getreidekügelchen, bei denen die meisten sofort an Nordafrika denken. Doch neben Tunesien und Marokko sind 2018 Spanien und der Senegal, die USA und die Elfenbeinküste, Israel und Angola, Palästina und natürlich auch Italien am Start.

Im großen Zelt beugen sich die an langen Tischen platzierten gut 100 Besucher über ihre Teller und widmen sich voller Hingabe dem marokkanischen Couscous, zubereitet mit Venusmuscheln, Garnelen und Brasse, mit Pinienkernen, Safran, Paprika und Kardamomsahne. Ihnen gegenüber sitzen die 14 Mitglieder der „technischen Jury“. Während dort viele kennerisch die Stirn runzeln, mal an der Sauce, mal am Couscous selbst mäkeln, vergibt das ebenfalls zur Abstimmung aufgerufene Publikum am Ende Bestnoten.

Mitten im Publikum sitzt Bürgermeister Giuseppe Peraino. Er erfand das Couscousfest vor genau 20 Jahren. Schließlich gehöre das Gericht schon seit Jahrhunderten zur lokalen Küche rund um die Westspitze Siziliens, von San Vito runter bis nach Mazara del Vallo, erklärt er. Tatsächlich wirkt San Vito selbst ein wenig, als befinde es sich am Südufer des Mittelmeers mit seinen einfachen, in der Regel bloß einstöckigen Bauten, die sich schmucklos und doch schön an den Straßen aufreihen. Und tatsächlich fehlt das Couscous auf keiner Speisekarte in den Restaurants des Ortes.

Doch nicht bloß um Kulinarisches war es dem Bürgermeister zu tun – die Botschaft San Vitos geht weiter. „­Emozioni unite“(Vereinte Emotionen) ist das Motto, darunter prangt an der Rückwand des Zeltes der Slogan „Make Cous Cous, not war“. Nein, über Politik wird hier nicht geredet, dekretiert der Bürgermeister dann allerdings. Aber er legt Wert darauf, dass das Fest selbst ein Friedenssignal sei, dass hier zum Beispiel Vertreter von Ländern anträten, die einander sonst in inniger Feindschaft verbunden seien.

Wenigstens bei der Jury ist diese Botschaft angekommen. Als bei der Ausscheidung Italien gegen die Elfenbeinküste wieder die Hymnen erklingen, ergreift einer der Juroren, der Italoamerikaner Andy Luotto, das Mikrofon und moniert, diese Hymnen handelten doch immer von Tod und Opfern fürs Vaterland. Wie es denn stattdessen mit Liedern wäre, die den Duft des Couscous besängen?

Recht hat er. Couscous ist schließlich die Geschichte von Austausch und Begegnung rund ums Mittelmeer. Nach Sardinien brachten es genuesische Fischer, die sich im tunesischen Tabarka angesiedelt hatten; nach Sizilien die zahlreichen Auswanderer von der Insel, die im 19. Jahrhundert in Tunesien ihr Glück versuchten.

So genau wollen das aber die meisten Besucher eigentlich gar nicht wissen, die die Strandpromenade hinunterschlendern, von einem Couscouszelt zum anderen pilgern, vom „Haus“ des maghrebinischen zu dem des Couscous aus aller Welt oder dem, das den Köchen aus San Vito vorbehalten ist. Ihnen reicht die friedliche Koexistenz zwischen den Dutzenden Rezepten, mal mit Lamm-, mal mit Hähnchenfleisch, mal mit einer Fischsuppe oder der Tinte vom Tintenfisch, mal auch vegetarisch. Mit Couscous, meint der tunesische Juror Rafik Tatli, sei es wie mit der Pasta: Man kann so gut wie alles mit ihm kombinieren. Und dann fragt er sich am Ende, wie das denn wäre: ein ordentliches Gulasch statt mit Spätzle mit Couscous?

Der Autor ist in diesem Jahr Juror beim Couscouswettbewerb. Er bekommt kein Honorar, doch übernimmt der Veranstalterseine Reisekosten.

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