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HSV böse,St. Pauli gut?

So einfach ist das schon lange nicht mehr. Das zeigt sich wieder einmal vor dem Aufeinandertreffen der beiden Fußballvereine an diesem Sonntag 43–45

Von Jan Kahlcke

Gut gegen böse, schwarz-weiß, mein Verein vs. Scheißverein – Fußballfans brauchen einfache Wahrheiten. Ohne die wäre so eine völlige Hingabe, wie viele Anhänger sie leben, gar nicht möglich. Und wo wären solche Dichotomien schöner auf die Spitze zu treiben als unter Lokalrivalen?

In Hamburg kommt noch mal ein ganz eigener Zungenschlag dazu: Auf der einen Seite der große HSV, der sich lange als Rivale des FC Bayern fühlte, Europapokalgewinner, bedeutendes Wirtschaftsunternehmen, too big to fail. Auf der anderen der sympathische, immer am Rande des Bankrotts wandelnde Stadteilclub FC St. Pauli, der es nicht nur bei seinen kurzen Gastspielen in der ersten Liga verstanden hat, sich als Underdog zu gerieren. Und zwar so erfolgreich, dass selbst der vermeintlich natürliche Erzfeind FC Bayern ihn für ein derart possierliches Gegenstück hielt, dass er zum Rettungsspiel antrat, als den „Kiez-Kickern“ die Pleite drohte.

Die Hamburg-interne David-Goliath-Konstellation hat zusätzlich eine politische Dimension. Sie hat ihren Ursprung in den 80er-Jahren, als verstärkt linke Studenten nach St. Pauli zogen und den dort ansässigen Zweitligisten mit dem urigen Stadion für sich entdeckten. Dort, in der Gegengerade, gab es einen „Hafenstraßen-Block“ und zeitweilig wohnte sogar Torwart Volker Ippig in den besetzten Häusern. Der Totenkopf wurde zum Symbol der mehrheitlich links drehenden St.-Pauli-Fans und es dauerte nicht lange, bis die Marketingabteilung daraus den Claim „Die Freibeuter der Liga“ für ein Team drechselte, das selbstredend „ehrlichen“ Fußball ackerte.

Beim HSV ging die Ära der „Löwen“ da gerade zu Ende, einer furchterregenden Rocker-Fantruppe mit zunehmendem Rechtsdrall, die zwar höchstens ein paar hundert Mann stark war, aber das Bild des HSV überproportional stark geprägt hat. Eines Vereins, der seinen Zenit überschritten hatte, satt geworden schien. Groß und schwerfällig wie die SPD. Ende der 90er-Jahre wurde mit Werner Hackmann sogar ein Ex-Innensenator jener in Hamburg traditionell rechts der Mitte stehenden Partei Präsident. Und auf dem Platz? Gab’s Angestelltenfußball.

Alles klar also? Zumal, seit der FC St. Pauli vor ein paar Jahren mit Ewald Lienen den einst einzigen Linksradikalen im deutschen Profifußball erst zum Cheftrainer und dann zum Sportdirektor gemacht hatte, während beim HSV der egomane Multimilliardär und „Arisierungs“-Profiteur Klaus-Michael Kühne einstieg und sich immer tiefer ins operative Geschäft einmischte?

Der HSV wird diese Büchse der Pandora nicht wieder zubekommen, leidet aber wenigstens sichtbar an seinem launischen Gönner. Die Anhänger zeigen in der Zweiten Liga, dass sie keine Schönwetter-Fans sind, kommen fünfundvierzigtausendfach um sich eine Klatsche gegen Jahn Regensburg abzuholen. Dass sie sich in den letzten Jahrzehnten gründlich zivilisiert haben, ist weit gehend unbemerkt geblieben. Schon in den 90ern hatten sie substanzielle Antifa-Gruppen in ihren Reihen. In Deutschlands kurzem Sommer der Empathie vor drei Jahren wurden auch im Volkspark „Refugees Welcome“-Flaggen geschwenkt.

Aus dem FC St. Pauli ist derweil unter der wahrscheinlich ersten professionellen Vereinsführung seiner Geschichte ein florierendes Wirtschaftsunternehmen geworden. Man spielt unter stetig wechselnden Trainern in einer schmucken, topmodernen Arena und hat seine auf Jahrzehnte verpfändeten Marketingrechte zurückgekauft. Ausrüster ist das Redneck-Label Under Armour, dem Nähe zu Donald Trump nachgesagt wird. Und viele linksradikale Fans leben ihre Fußballromantik seit Jahren lieber bei Altona 93 aus; ihr Ex-Club ist für sie der Yuppie-Club der Schanzen-Schickeria geworden.

Gleichzeitig hat sich auch auf St. Pauli eine Truppe junger Ultra-Heißsporne formiert, für die der Fußball vor allem ein Vehikel ist, ihre Aggressionen gewalttätig auszuleben. Genauso stumpf wie bei jedem herkömmlichen Arschloch-Verein. Ihnen müsste man mal klar machen, dass sie keine moralische Überlegenheit gepachtet haben – das wäre das Mindeste.

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