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Moderner Typus

Erst vertrieben, nach 1945 wegen Realismus vergessen: Das Frankfurter Städelmuseum lässt Lotte Laserstein mit einer umfassenden Einzelausstellung Gerechtigkeit widerfahren

Die Malerin und ihr Modell. „In meinem Atelier“ ist 1928 entstanden Foto: Lotte-Laserstein-Archiv/Krausse, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Von Katharina J. Cichosch

Erinnern die scheinbar beiläufig mit Öl auf Packpapier gemalten Frauen, das „Liegende Mädchen auf Blau“ von 1931 oder ein Porträt von „Traute im grünen Pullover“ aus demselben Jahr, nicht auffällig an die Heroinen der frühen Indie-Pop-Jahre, die viele Jahrzehnte später eine Art feminine Androgynität heraufbeschworen?

Das Wiederentdecken immer wieder vertraut scheinender Gesichter, zeitlos im besten Sinne, zieht sich von Bild zu Bild. Lotte Lasersteins Porträts machen zunächst keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, jedem widmet sie sich mit derselben Aufrichtigkeit und Virtuosität. Gerade deshalb kann man hier, in der „Von Angesicht zu Angesicht“ genannten Retrospektive, heute Frauen entdecken, die zwar ihrer Zeit entspringen – der Blüte, in der kurz vieles möglich schien und teils wohl auch war –, im selben Moment aber auch wenig mit dem gemein haben, was eben sonst an Frauenbildern aus dieser Epoche zum Klischee geronnen ist: die glamourös schillernden Ladys der Goldenen Zwanziger, deren Auftritt mit Charleston-Stirnband, Zigarettenspitze und Wasserwelle heute auf keiner Kostümparty fehlen darf, oder am anderen Ende der Skala die grell-morbiden Karikaturen von Prostituierten und Amüsierdamen, die ein Otto Dix auf die Leinwand brachte. Moderner Typus, kurze Haare, Hemd und Hose: Ja, ja, alles richtig, aber allein betrachtet eben auch nur eine Reihung von Attributen. In Lasersteins Arbeiten werden all die ins Abbild realer Individuen eingewoben.

Gelegenheiten, mehr als eine Handvoll Bilder von Lotte Laserstein (1898-1993) zu Gesicht zu bekommen, waren bisher rar: 1987 widmete ihr die Londoner Galerie Agnews die erste Einzelschau, zu der die damals beinahe 90-jährige Malerin selbst anreiste. Erst 2003 folgte die erste deutsche Retrospektive in Berlin, nun präsentiert das Frankfurter Städelmuseum rund 40 Arbeiten. Viele stammen aus Privatbesitz, einige aus der hauseigenen Sammlung, die in den letzten Jahren um die Arbeiten „Russisches Mädchen mit Puderdose“ und „Junge mit Kasper-Puppe“ ergänzt wurde.

Neben Lasersteins technischer Virtuosität, der Fähigkeit, mit sehr dünnem Farbauftrag hinreißende Porträts und Studien zu schaffen, sind weitere Entdeckungen zu machen: das Licht, welches sich überall Wege bricht in wenig heitere Farbwelten; Toskana-Sonnenschein aus der Studio-Retorte. Oder der Hintergrund: Oft genug erscheint er wie ein Bluescreen, vor dem die Abgebildeten stehen, posieren oder einfach nur blicken. Auch beim „Abend über Potsdam“, unheilvolle Version eines modernen Abendmahls, heute im Besitz der Nationalgalerie, malte Laserstein die verzagten Gesichter ihrer Protagonisten nachträglich ins Stadtpanorama hinein. Manchmal gerät der Hintergrund zum Zitat, oder umgekehrt: Ein Standbild der „Dreigroschenoper“-Verfilmung von G. W. Pabst wird zur Kulisse fürs Selbstporträt: „Mackie Messer und ich“.

Biografisch werden hier wie in anderen Laserstein-Ausstellungen nicht sehr viel mehr als Eckdaten vermittelt. Ob ihre Muse und Freundin Traute Rose, die Laserstein immer wieder und auch als Akt malte, ihre Geliebte war, bleibt offen wie die Frage, wie es ihr später genau ergangen ist. Lotte Laserstein wird 1898 in Ostpreußen geboren, in eine bürgerliche Familie; ihr Vater ist jüdisch, sie selbst wird von den Nazis später als „Dreivierteljüdin“ bezeichnet. Bei einer Tante nimmt sie ersten Malunterricht, später meldet sie sich als eine der ersten Frauen an der Kunstakademie an, wo sie bei Erich Wolfsfeld studiert. Ausstellungen, Malwettbewerbe und Veröffentlichungen in Mode-Zeitschriften ebnen den Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn, die durch den Nationalsozialismus ein jähes Ende findet.

1937 folgt die Flucht ins schwedische Exil: Ermöglicht werden sollte Laserstein, die eigenen Aussagen nach niemals heiraten wollte, die neue Sicherheit und Staatsbürgerschaft durch eine Heirat. Künstlerisch und privat musste sie von vorn anfangen, ihr großes Können verschaffte ihr bald Auftragsarbeiten für die schwedische Oberschicht, die, so heißt es hier, künstlerisch allerdings nicht mit ihren früheren Arbeiten mithalten. Ob diese Einschätzung trägt, kann man künftig in Berlin überprüfen: Dorthin zieht die Ausstellung später, ergänzt um Arbeiten aus dem schwedischen Exil.

Das Licht bricht sich überall Wege in wenig heitere Farbwelten

John Crichton‑Stuart, Direktor der Londoner Galerie, in der die Wiederentdeckung von Lotte Laserstein ihren Anfang nahm, sprach einmal von den vielen Künstlerinnen, die in dieser Zeit marginalisiert und erst sehr spät wiederentdeckt wurden. Lasersteins Arbeit und Person seien dabei von den Umwälzungen zwischen den Weltkriegen ebenso geprägt wie auch „nahezu zerstört“ worden.

Spitz formulieren die KuratorInnen der aktuellen Schau diesen Umstand: Die Malerin teile das Schicksal etlicher ihrer Generation, deren künstlerische Laufbahn durch den Nationalsozialismus massiv beschnitten wurde und die später, doppelter Zynismus, aufgrund ihres realistischen Stils, in der „avantgardeorientierten Nachkriegsforschung“ praktisch nicht vorkamen.

Den Schluss der Ausstellung bildet diese nicht zu Ende erzählte Pointe, ob trotzig oder traurig, zur eigenen Deutung: 1950 porträtiert sich die Malerin wieder selbst, hinter ihr verschwommen der „Abend über Potsdam“. Ein stolzes oder zumindest süffisantes Deuten auf jenes damals bereits Jahrzehnte alte Meisterwerk, dessen Potenzial die Kunstgeschichte wieder erst knapp ein halbes Jahrhundert später entdecken sollte.

Bis 17. März 2019. Zur Ausstellung ist im Prestel Verlag ein Katalog erschienen.

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