Von Insel zu Insel

„Archipelago“, die Schau des neuen Künstlerinnen-Jahrgangs des Förderprojekts Goldrausch, gleicht einem Kunst-Archipel

Still aus „Infinity Drift“, 2018 Foto: Lena Marie Emrich

Von Lorina Speder

Schon während des Aufbaus am Donnerstag, noch vor der Eröffnung der Schau, spürt man die Kollegialität und Freundschaft zwischen den 15 Künstlerinnen des diesjährigen Goldrausch-Künstlerinnenprojekts. Schon seit 1989 gibt es das Künstlerinnenprojekt des Goldrausch e.V., das helfen soll, Verbindungen und Freundschaften zu schließen. Man hilft und unterstützt sich, und die Stimmung ist entspannt, obwohl so kurz vor der Eröffnung in einer der Reinbeckhallen in Oberschöneweide noch nicht alles steht.

Das Archipel als Region, die aus einer Inselgruppe und den umliegenden Gewässern besteht, gab der Ausstellung Archipelago ihren Titel – und den kann man auch als Metapher deuten: Die Teilnehmerinnen kämpfen nicht mehr isoliert, sondern arbeiten zusammen. So bietet auch die Präsentation in der Halle fließende Übergänge. Die kleinen Inseln aus verschiedenen Arbeiten verbinden sich meist ohne Trennwände in der Halle wie ein Archipel. Dabei liegen die Kunstwerke teilweise sehr nah beieinander: Wenn man zum Beispiel vor Anna Fiegens Gemälden von abstrahierter Architektur der Nachkriegsmoderne steht, befinden sich auf gleicher Höhe auch Lotta Bartoschewskis meterhohe skulpturale Wände.

Bartoschewski werkelt gerade noch an ihren zwei Gipswänden, die jeweils einen Negativ-Abdruck einer bemalten Vorlage darstellen. In der Eröffnungswoche hatte sie mit dem Guss begonnen und dabei eine Formel aus Gips benutzt, die sie über Jahre entwickelt hat. Steht man direkt vor ihrem Werk, kann man nicht glauben, wie dünn die meterhohen Wände sind – teilweise dürften es nur wenige Millimeter sein. Ein Transport des Gesamtwerks in Bartoschewskis Atelier in den Weddinger Uferhallen wird nicht möglich sein.

Ein stärkendes Netzwerk

Auch die Berliner Künstlerin Samantha Bohatsch kreiert ortsspezifische Kunst – jedoch in Form von Performances. Mit ihren Vorbereitungen ist sie am Donnerstag vor der Eröffnung schon fertig, also beklebt sie die erste Seite des Gästebuchs für die Ausstellung. Obwohl sie sich in ihrer Ausbildung vor allem dem Zeichnen und Skulpturenbau gewidmet hat, wählte sie in letzter Zeit immer öfter die Sprache als Ausdrucksmittel. Deshalb präsentiert sie ihre Arbeit mithilfe einer Lautsprecherbox und drei Kopfhörern, die an der Wand hängen. Ihre Arbeit „She Said“ schrieb sie dieses Jahr in einem Stück herunter. Da hatte der Goldrausch-Projektjahrgang schon begonnen. Durch den regelmäßigen Austausch bei Goldrausch, sagt Bohatsch, bewege man sich außerhalb seines Dunstkreises.

Wenn man von flüchtigen Begegnungen in der Kunstszene absieht, kannten sich die 15 Frauen vor Goldrausch noch nicht persönlich. Mit den neuen Kontakten können sie sich nun ein stärkendes Netzwerk aufbauen. Und das ist ein Fortschritt – denn noch immer fehlt es an Sichtbarkeit für Künstlerinnen. Laut einer neuen Studie des IFSE werden weibliche Kreative in Berlin im Vergleich der durchschnittlichen Anzahl von Einzelausstellungen 22 Prozent weniger ausgestellt als Männer. Beim diesjährigen Gallery Weekend betrug dieser „Gender Show Gap“ sogar 40 Prozent. Auf dem Weg zur Jahrgangsausstellung hilft Goldrausch den aufstrebenden Künstlerinnen, die eine Jury im Vorab ausgewählt hat, auch bei der Professionalisierung ihres Künstlerinnen-Daseins. So bringen die Projekt-Mitarbeiter etwa die Internetpräsenz der Teilnehmerinnen auf den neuesten Stand, helfen beim Anfertigen eines Kataloges und bietet Seminare für Kommunikation und Selbstmanagement an.

Bei den kurzen Gesprächen am Pressetag vor der Eröffnung hat man das Gefühl, dass alle Künstlerinnen selbstbewusst auftrete. Streift man durch die Halle, erscheint es besonders faszinierend, dass die vielen unterschiedlichen Werke so dicht beieinander liegen und trotzdem sowohl einzeln und auch zusammen funktionieren. So grenzt etwa die gezeichnete Übersetzung der Sounds von einer engen Treppe am U-Bahnhof Friedrichstraße, ein Werk der Südkoreanerin Yeongbin Lee, an das Kopfhörer-Ensemble von Bohatschs an, während auf der anderen Seite eine Installation von Lena Marie Emrich zu sehen ist: Auf einem Bildschirm brennt ein Auto das Unendlichkeitszeichen mittels pinker Bremsspuren in den Asphalt.

Am Ende steht das mit Latexbannern abgehängte Gerüst der Französin Soline Krug, auf dem sie ihre Lecture-Performance „Persona“ aufführen wird. Es versinnbildlicht noch einmal die Varietät der Positionen; denn die künstlerischen Personae in der Halle sind so unterschiedlich wie die Farbtöne, die das hautfarbene Latex durch die Sonneneinstrahlung bisher angenommen hat.