: Hitze in Europa durch Eismangel am Nordpol
Nur noch 4,35 Millionen Quadratkilometer sind in der Arktis mit Eis bedeckt. Das ist nicht nur ein Problem für Eisbären, sondern fürs ganze Ökosystem – und auch für unser Wetter
Von Nick Reimer
Seit dem Wochenende geht die Sonne am Nordpol wieder unter. Der arktische Sommer ist vorbei – und mit ihm eine dramatische Eisschmelze. Derzeit schwimmt nur noch auf 4,35 Millionen Quadratkilometern Eis – der zweitniedrigste jemals gemessene Wert. Anfang der 1980er Jahre waren am Nordpol zum Ende des arktischen Sommers noch 8 Millionen Quadratkilometer mit Eis bedeckt.
Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut, spricht von einem „besorgniserregenden Abnahmetrend, den wir nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt beobachten“. Denn eine schrumpfende Meereisbedeckung trägt zur weiteren Erwärmung des arktischen Ozeans bei. Man kann das Problem gut mit einem Spiegel illustrieren, der in die Sonne gehalten wird. Haas: „Wie Spiegel haben Eisflächen einen höheren Rückstrahleffekt als die dunklere Wasseroberfläche.“ Je kleiner dieser Spiegel – also die arktische Meereisbedeckung – ist, desto mehr Sonnenstrahlen dringen in den arktischen Ozean ein.
„Die Arktis erwärmt sich zwei bis dreimal so schnell wie andere Gegenden der Erde“, sagt Stefan Rahmstorf, Ozeanograf und Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Dadurch verringert sich das Temperaturgefälle zwischen Äquator und Nordpol, „ein Gefälle, das die atmosphärische Zirkulation bestimmt“. Dieses Gefälle diktiert die Lage von Hoch- oder Tiefdruckgebieten, es treibt den Jetstream an – einen Höhenwind über der Nordhalbkugel – und sorgt so für unser Wetter.
Neuerdings aber bleiben die Wellen des Jetstreams immer öfter hängen, ihre Amplituden werden größer, der Höhenwind verlagert sich in der Stratosphäre insgesamt. Extremwetterlagen sind die Folge: Hitze- oder Kältewellen, besonders niederschlagsreiche oder trockene Phasen, lang anhaltende Sturmlagen. Der extrem trockene Sommer 2018 ist ebenso ein Produkt eines durcheinander geratenen Jetstreams wie die Rekordhitze 2010 in Osteuropa oder die extreme Winterkälte 2015/2016 in Nordamerika. Stefan Rahmstorf: „Das schmelzende Meereis beeinträchtigt direkt unser Leben.“
Stefan Rahmstorf, Klimaforscher
Aber nicht nur das. „Die Arktis ist ein gigantisches Ökosystem, Ausgangspunkt von vielen Nahrungsketten in der ganzen Welt“, sagt Mojib Latif, Forscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Natürlich kenne jeder das Bild des Eisbären, der ohne Eis im Sommer nicht mehr jagen kann. Latif: „Was wir zum Beispiel aber nicht sehen, sind Algen an der Unterseite des Eises, von denen sich der Krill ernährt.“ Dieses garnelenförmige Plankton ist wiederum Nahrungsgrundlage von Krebsen, Fischen, Walen oder Robben. Latif: „Je weniger Eis, desto weniger Krill.“
Gemessen wird die Meereisausdehnung per Satellit mit Mikrowellen. „Eis strahlt die Wellen anders zurück als der eisfreie Ozean. Der Vorteil der Methode ist, dass wir so auch durch die Wolken kartieren können“, erläutert Forscher Haas. In diesem Jahr ging das Eis so weit zurück, dass der Schiffskonzern Maersk erstmals ein großes Containerschiff durch die Nordostpassage geschickt hat. Statt über den Suezkanal fuhr die „Venta Maersk“ aus dem russischen Wladiwostok ohne Eisbrecher durch das Beringmeer nach Sankt Petersburg.
Das immerhin wird 2018 noch eine Ausnahme bleiben: Bis zum Februar wird sich die Eisdecke nun wieder über 14.000 Quadratkilometer schließen. Allerdings ist sich Haas mit anderen Forschern einig: „In 30 bis 50 Jahren ist die Arktis eisfrei.“
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