Der Krieg hört nie auf

Das aus Strafgefangenen, Ex-Knackis und Laiendarstellern bestehende Theater Aufbruch inszeniert in der Alten Brauerei Königstadt am Prenzlauer Berg „Underground“ nach einem Film von Emir Kusturica

Ernsthaftigkeit und Bezug zum Stoff verleihen dem Abend Energie

Von Katja Kollmann

Im Gewölbekeller der Alten Brauerei Königstadt im Prenzlauer Berg werden Dutzende Munitionskisten hin und her geschoben. Sandig ist der Boden, auf dem sie lagern. Die Wände sind aus Backstein, und die hohe, runde Decke ist ein guter Resonanzboden für das Spiel der Akteure vom Gefängnistheater Aufbruch. Bis 1921 war dieser Raum einer von Dutzenden Eiskellern der Brauerei, in denen das untergärige „bayerische Bier“ in großen Kupfergefäßen umgeben von riesigen Eisblöcken eingelagert wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Luftschutzkeller daraus, unterirdische Produktionsstätten der kriegswichtigen Industrie waren hier untergebracht. Zwangsarbeiter fertigten Bauteile für V-Waffen und Vergaseranlagen für die Fahrzeugindustrie. Heute ist hier die Bühne für „Underground“, die neueste Produktion von „Aufbruch“. Seit 1997 artikulieren sich Gefangene in diesem Theater: Oft inszenieren sie Stücke, in denen sie sich wiederfinden. Schillers „Die Räuber“, Becketts „Endspiel“ und Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ feierten Premiere innerhalb der Gefängnismauern.

Gleichzeitig etablierten sich Theaterprojekte mit ehemaligen Häftlingen an besonderen Orten der Stadt, so wurde Schillers „Wallenstein“ am Flughafen Tempelhof zur Aufführung gebracht. Im ehemaligen Brauereikeller inszeniert Peter Atanassow jetzt „Underground“ nach Motiven von Emir Kusturicas gleichnamigem Film aus dem Jahr 1995. Kusturica spannt darin einen beängstigenden Bogen vom belagerten Belgrad im Zweiten Weltkrieg zu den kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan in den neunziger Jahren.

Im Zentrum des Films stehen Kriminelle, die aus dem Belgrader Untergrund heraus, in Katakomben lebend, den Widerstand gegen die deutschen Besatzer organisieren. Die lukrative Waffenschieberei geht nach dem Krieg weiter, indem man die Menschen im Untergrund weiter für sich arbeiten lässt. Für sie hört der Krieg nie auf. Die Kriegsgewinnler aus dem Zweiten Weltkrieg sind dann in den neunziger Jahren wieder gut im Geschäft. Kusturicas Film ist saftig, schräg und böse. Der Turbofolk-Soundtrack gibt dem Film wunderbare Beschwingtheit. Atanassow holt sich diese Leichtigkeit in den Gewölbekeller, indem er die vierköpfige Blaskapelle wieder aufspielen lässt. Zwischen den Stapeln aus Munitionskisten und den kargen Doppelstockbetten tanzen dann alle: Marko, der Waffenschieber mit den Verbindungen nach oben, Petar, der Untergrundboss, und Natalja, die berühmte Schauspielerin, die auch vor den Besatzern singt und tanzt.

Das Aufbruch-Ensemble setzt sich hier aus Freigängern, ehemaligen Häftlingen, Schauspielern und Laien zusammen. Was alle vereint und dem Theaterabend eine bezwingende Energie verleiht, ist die Ernsthaftigkeit, die ihr Spiel und ihren Bezug zum Stoff auszeichnet.

Dramaturgisch gut verteilt sind die Videosequenzen, die auf die Backsteinmauer des alten Bierkellers projiziert werden. Sie entwickeln in diesem historischen Raum eine geradezu beängstigende Sinnlichkeit.

Der Körper beginnt zu verstehen, wenn Bilder der Bombardements auf Belgrad gezeigt und hörbar gemacht werden und davor das Ensemble hysterisch-ausgelassen tanzt. Nach Kriegsende lässt Marco, der Waffenhändler, jahrelang gefälschte, täuschend echte deutsche Wochenschauen und Radionachrichten (Video: Pascal Rehnolt) produzieren, um die Menschen in den Katakomben vom Herauskommen abzuhalten. Moxx spielt Marco als aalglatten Kriegsgewinnler, der den aufrichtigen Widerstandswillen von Menschen nach dem Krieg gnadenlos ausnutzt.

Alle tragen den Krieg in sich. Das zeigt sich auf sehr beklemmende Weise im letzten Drittel der Inszenierung. Neunziger Jahre auf dem Balkan: Petar verliert seinen Sohn auf der Flucht vor dem Balkan-Krieg.

Er vergisst ihn beim Schießen. Der Sohn ertrinkt. Ein überdimensionales Schlauchboot wird durch den Keller geschoben und erzählt von Flucht und Vertreibung. Iwan (Mohamad Koulaghassi) hat die Arme ständig oben, immer bereit, sich zu ergeben. Er ist im Krieg zum Stotterer geworden. Er erschießt schließlich Marco und Natalja. Dann erfährt er: Jugoslawien gibt es nicht mehr. Und hängt sich auf.

Nächste Vorstellungen:

14. bis 16. September, 19. bis 23. September und 26. bis 30. September 2018, jeweils 19:30 Uhr