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Mehr Barfuß wagen

Eine Vergleichsstudie in Südafrika und Norddeutschland zeigt: Vermehrt barfuß zu gehen, verbessert die motorischen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen. Das gilt aber auch im Erwachsenenalter

Mehr Fußgewölbe, weniger Energieumsatz: Barfußgehen hat viele Effekte – manche sind sogar ziemlich überraschend Foto: Friso Gentsch/dpa

Von André Zuschlag

Viel zu selten sind Kinder und Jugendliche hierzulande barfuß unterwegs. Dabei wäre es für Heranwachsende, auch langfristig bis ins Erwachsenenalter hinein gesehen, für die Gesundheit besser, häufiger aufs Schuhwerk zu verzichten. Das belegt eine Vergleichsstudie, die Sportmediziner*innen aus Deutschland und Südafrika in diesem Jahr beendet haben. Die Forscher*innen untersuchten und vermaßen dafür die Füße von Kindern und Jugendlichen in beiden Ländern.

„Wir konnten nachweisen, dass der Einsatz von Schuhen einen Einfluss auf das Gangbild, die Fußentwicklung und die körperliche Leistungsfähigkeit hat“, sagt der Hamburger Sportmediziner Karsten Hollander. Die jungen Versuchsteilnehmenden zwischen sechs und 18 Jahren, die an verschiedenen Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein rekrutiert wurden, sind den weit überwiegenden Teil des Tages – zumindest während der Schulzeit – in Schuhen unterwegs. Anders sieht es in der südafrikanischen Westkap-Provinz um Stellenbosch aus: Barfußgehen ist dort bei Kindern und Jugendlichen sehr verbreitet, egal ob sie im ländlichen oder städtischen Bereich leben. Das gilt bis ins Erwachsenenalter und ist unabhängig vom sozialen Status.

Die Messung des Fußgewölbes mithilfe einer Druckmessplatte ergab, dass „Schuhkinder“ eher zu Plattfüßen neigen: Das Fußgewölbe war im Schnitt um acht bis zwölf Prozent flacher. Plattfüße wiederum können langwierige Probleme bis ins Erwachsenenalter zur Folge haben.

Zur Testung der motorischen Leistungsfähigkeiten durchliefen die Schulgruppen drei verschiedene Tests: Die Teilnehmenden sollten rückwärts auf Balken mit drei verschiedenen Breiten balancieren. Dabei wurden die erfolgreichen Schritte gezählt. Der zweite Test war der Weitsprung aus dem Stand, einmal barfuß und einmal in Schuhen. Beim dritten Test mussten die Proband*innen einen 20-Meter-Sprint absolvieren.

Ergebnis: Die Schüler*innen aus Südafrika konnten besser – also mit weniger Fehlern – balancieren und auch besser springen: im Schnitt drei Zentimeter weiter. Einzig beim Sprinten waren dann die Schüler*innen aus Deutschland besser. In ihren Ergebnissen wurden das Geschlecht, die Ethnie, der BMI-Index sowie ihre übliche körperliche Aktivität berücksichtigt. Hollander und seine Kolleg*innen hatten die beiden Gruppen zunächst noch einmal in drei Altersklassen eingeteilt; in der jüngsten Klasse waren die Unterschiede am größten.

Die Sprints zeichneten die Forscher*innen mit einer hochauflösenden Kamera auf. So zeigte sich, dass gerade die jüngsten Teilnehmenden sehr unterschiedlich laufen: Während rund 75 Prozent der üblicherweise Barfußlaufenden zuerst mit der Ferse aufsetzen, tun das bei den Schuh-Kindern aus Norddeutschland nur drei Prozent. „Der Unterschied verringert sich erst mit zunehmenden Alter“, sagt Hollander.

Grundsätzlich lässt sich daraus folgern: Durch häufiges Barfußlaufen verbessern sich die motorischen Fähigkeiten, denn das Schuhwerk beeinflusst nicht nur die Füße, sondern den gesamten Bewegungsapparat. „Besonders bei Kindern ist vermehrtes Gehen und Laufen ohne Schuhe zu empfehlen“, sagt Hollander.

„Besonders bei Kindern ist Gehen und Laufen ohne Schuhe zu empfehlen“

Sportmediziner Karsten Hollander

Warum die Sprintzeiten bei Barfuß-Kindern schlechter sind, ist nicht vollkommen klar. Naheliegende Erklärung wäre, dass Umwelteinflüsse – Wärme, Wind oder die Beschaffenheit des Bodens – einen großen Einfluss gehabt haben könnten. Auch könnten hierbei länderspezifische kulturelle Unterschiede zum Tragen kommen: Bei ähnlichen Studien mit Jugendlichen aus Kenia waren die Sprint-Ergebnisse deutlich besser. „Während es in Kenia eine große Lauftradition gibt, ist etwa Cricket oder Rugby in Südafrika deutlich beliebter“, sagt Hollander.

Regelmäßige körperliche Bewegung ohne Schuhe ist für die Entwicklung insbesondere von jüngeren Kindern aber dennoch immer von Vorteil. Und nicht nur im Kindesalter ist vermehrtes Barfußlaufen zu empfehlen, auch im Erwachsenenalter. „Nach achtwöchigem, vermehrtem Barfußlaufen sind Ergebnisse schon sichtbar“, sagt Hollander: Demnach nimmt die Balancefähigkeit zu, das Gangbild verbessert sich – und der Verzicht auf Schuhe habe sogar Einfluss auf die Laufökonomie: Der Körper verbraucht beim Laufen weniger Energie.

Ratsam ist allerdings kein plötzlicher radikaler Umstieg aufs komplette Barfußgehen. „Die ungewohnte andere Belastung kann zu Verletzungen führen“, sagt Hollander. Besser sei es, wenn die Schuhlosigkeit langsam gesteigert wird. Auch ein völliger Umstieg sei nicht unbedingt nötig. „Schon ein Drittel der Zeit auf Schuhe zu verzichten, zeigt positive Effekte“, sagt Hollander.

Ein Umstieg können dabei auch die sogenannten Barfußschuhe, also Schuhe mit sehr dünner Sohle, erleichtern. Aus ästhetischer Sicht in manchen Augen fragwürdig, kann Sportmediziner Hollander sie aus fachlicher Sicht sehr wohl empfehlen. „Besonders in der Stadt wollen viele Menschen aus Angst vor Verletzungen nicht komplett auf Schuhe verzichten“, sagt er. „Da wären diese Schuhe ein Ansatz.“

Link zur Studie: www.nature.com/articles/s41598-017-07868-4

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