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Nichts ist unveränderlich

Auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin erzählte die Literatur von Überforderung

Beatrice Faßbender, Eliot Weinberger, Priya Basil Foto: Ali Ghandtschi

Von Jan Jekal

„Wer von Ihnen wird mein Buch lesen?“, fragt Will Self. Es ist keine rhetorische Frage. „Seien Sie ehrlich“, sagt er und bittet um Handzeichen. Zögerlich heben fünf, sechs Leute im Publikum die Hand; die übrigen fünfzig lächeln den britischen Autor entschuldigend an und wollen sein vehementes Nachfragen als harmlos ironische Kritik an dieser Art Veranstaltung verstehen. Self aber meint es ernst; er ergeht sich in einer Tirade gegen das Bildungsbürgertum; das alles hier sei nur Schauspiel, allenfalls eine Simulation von Kultur, das Publikum sei nur hier, um eine Pose der Distinguiertheit einzunehmen.

Damit mag er nicht Unrecht haben. Was daran so verachtenswert sein soll, ist eine andere Frage. Vor allem aber lenkt Self davon ab, dass er in diesem Thea­terstück selbst die Hauptrolle angenommen hat. Ich meine: Misanthropischer Brite mit Ex-Junkie-Kredibilität, der nun in Tweed-Jackett und mit Oxfordakzent in launig-lakonischen Redeschwällen auf die weichsten aller Ziele schießt (an einem Punkt disst er „Harry Potter“). Mehr Schauspiel geht nicht! Jeder kommt auf seine Kosten. Selfs Buch braucht man nicht mehr zu kaufen. Aber das hatte ja ohnehin keiner vor.

In den elf Tagen des Internationalen Literaturfestivals Berlin fanden so viele Veranstaltungen statt, und viele davon gleichzeitig, dass der Versuch einer Zusammenfassung anekdotisch bleiben muss. Die beschriebene Szene mit Will Self gehörte wohl zu den aufregendsten. Gemeinsam ist vielen gegenwärtigen Autoren und Denkerinnen, dass sie das Ausbrechen neuer Ängste als Folge des Aufbrechens alter Rollenmuster durch neue Technologien fürchten; dass Fortschritt also, wenngleich erstrebenswert, dialektisch mit Verunsicherung und Überforderung gedacht werden muss.

„Nichts ist unveränderlich“, hat Eva Menasse in ihrer Eröffnungsrede den alten linken Schlachtruf zitiert; sie hat betont, dass dieser Satz auch eine konservative Lesart hat, also nicht auf die bevorstehende Verwirklichung utopischer Ideen verweisen muss, sondern die dringliche Notwendigkeit der Bewahrung zivilisatorischer Errungenschaften anmahnen kann.

In ihrem Roman „Neujahr“, der die Überforderung eines modernen Familienvaters zum Thema hat, bringt Juli Zeh wesentliche Spannungsfelder des modernen Zusammenlebens auf den Punkt. Da ist zum einen das Bedürfnis zur Selbstoptimierung, die zu hohen Ansprüche an sich selbst, schließlich die Unfähigkeit, den unrealistischen Idealen gerecht zu werden. Und zum anderen scheinen die Männer orientierungslos im Angebot der Männlichkeitsentwürfe zu sein. Die Krise des Maskulinen illustriert an einem Abend ganz gut Jörg Thadeusz, der Moderator des Gesprächs mit Juli Zeh. Thadeusz redet onkelhaft mit Zeh, die sich das gefallen lässt und seine gönnerhaften Gängeleien gut gelaunt kontert. Ein lustiges Gespräch, die meiste Zeit, bis die Stimmung kippt.

Da flachst Thadeusz, dass man als Mann bei der Verrichtung von Hausarbeit ja immer auf die spätere Belohnung spekuliere, und das nachgeschobene „Dingelingeling“ lässt keinen Zweifel, welche Art Transaktion ihm vorschwebt. Es regt sich Empörung im mehrheitlich weiblichen Publikum, das diesen Spaß wenig lustig findet.

„War das jetzt schon der alte weiße Mann?“, sagt Thadeusz, als der Altherrenwitz nicht ganz zündet, in der Hoffnung, der Sprung zur Metaebene, der ja Reflexionsfähigkeit und eine insgeheime Allianz mit dem kritischen Publikum anzeigt, würde alles klären. Ist dann auch so.

Juli Zeh bringt Spannungsfelder des modernen Zusammenlebens auf den Punkt

Ein Gedanke kommt mir im Laufe des Festivals immer deutlicher: Die breit gefächerten Biografien der Gäste – „über 200 Teilnehmer aus über 50 Ländern“ – spiegeln sich wohl kaum im Personal der vielen PraktikantInnen und Freiwilligen wider, ohne deren schlecht bezahlte Arbeitskraft – 200 Euro beziehungsweise 100 Euro im Monat, wie der Ausschreibung zu entnehmen ist – hier gar nichts laufen würde.

Besonders viel Vielfalt ist bei ihnen nicht zu erwarten; es sind alles junge Menschen, die es sich, zumindest finanziell, leisten können, lange Tage zu arbeiten, ohne auch nur im entferntesten am Mindestlohn zu kratzen. An Literatur interessierte Arbeiterkinder, als Beispiel, wird man hier eher nicht finden. Das nennt Didier Eribon an einem der Abende „strukturelle Gewalt“, die intellektuelle Institutionen homogen hält.

Linksliberale Großveranstaltungen wie das Internationale Literaturfestival Berlin leisten wichtige Arbeit, wenn sie im Rahmen des Programms Vielstimmigkeit ermöglichen, auf Ungerechtigkeiten hinweisen und marginalisierte Stimmen verstärken; umso problematischer also, dass die prekäre Lage der PraktikantInnen als gegeben hingenommen wird.

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