piwik no script img

Archiv-Artikel

Im Papierkrieg

DER LESERBRIEF Blüten der Hass-Posie finden sich in Leserbriefen, rechte Parolen und Verliebtheiten. Vorgelesen beim „Hate-Slam“ im Ballhaus Naunynstraße

„Sehr geehrte Damen und Herren. Hiermit entziehe ich Ihnen die Lasteinzugsberechtigung!“, schrieb einst ein empörter Leser der Zeit-Redaktion. „Die Bild-Zeitung ist objektiver als Ihr Blatt! Ich werde von nun an wieder FAZ lesen!“

Mit diesem Brief leitet Özlem Topcu, Politik-Redakteurin der Zeit, am Mittwochabend im Ballhaus Naunynstraße die zweite Runde des Berliner „Hate-Slam“ ein in der Kategorie: „Abo-Kündigung“. Im schärfsten aller Poeten-Wettstreite steigen die teilnehmenden Journalisten nicht mit eigenen Texten, sondern mit fiesen Leserbriefen in den Ring. Wahre Blüten der Hass-Poesie sind darunter, und das Publikum darf entscheiden, wer die besten bekam.

Endstation der Sieger: Schredder! Neben Topcu haben zwei Herausforderer Platz genommen: Kolumnistin Mely Kiyak, die für die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau schreibt, und der Kölner Kabarettist und Schauspieler Fatih Cevikkollu. Der Zuschauersaal ist voll – und beklatscht genüsslich die Hasstiraden, mit denen auf der Bühne geschossen wird. Schließlich bekommt der gemeine Leser von dem, was eine Zeitungsredaktion täglich in ihrem Postfach findet, in der Regel nur wenig mit.

Heute Abend gibt es Unzensiertes. Gerade verliest Mely Kiyak die Post ihres treuesten Abo-Kündigers. Seit Wochen tut er der Redakteurin seine Empörung kund, schimpft über rotzende Muslime und fehlende Sachlichkeit – und droht mit seiner „endgültigen Kündigung“. Mit so was hält sich Protestler 2 gar nicht auf. Er bittet Kiyak, bis zum 25. des Monats ihren Dienst zu quittieren. Die Journalisten unter den Zuschauern grinsen verständnisvoll. Sie kennen das. Moderatorin und taz-Redakteurin Doris Akrap schenkt ihren Tischgästen Sekt nach, und die drei auf der Bühne laufen warm.

Im Papierkrieg vergessen sie zwischenzeitlich fast, dass sie überhaupt Zuschauer haben. „Nä – echt?!“, ruft die Zeit-Redakteurin der Frau von der Berliner Zeitung zu, „dieser Simplicissimus hat auch dir geschrieben?“ Im Contest tun sich dem Zuschauer langsam schauderliche Welten auf. Von „Morgenländische Sippschaften“, „Kümmeltürken“ und „Zahnfäule“ ist in der Leserpost die Rede. Bei der geballten Ladung rechter Parolen bleibt einem das Lachen förmlich im Halse stecken.

Ohne den schauspielerischen Einsatz der Journalisten und des Comedians müsste man vor dem Gros der Briefe schlicht davonlaufen. Auf der Bühne bekommen sie Slapstick-Qualität. Özlem Topcu hat einem ihrer Drohbriefschreiber geantwortet. Er ist von den Socken. „Sehr geehrte Frau Topcu. Ich bin perplex, dass Sie mir schreiben. Vielen Dank!“ Tatsache. Es geht auch ohne Hass. Und der Zuschauer ist fast erleichtert darüber.

Auf der Bühne ist jetzt Zeit für verliebte Leser. „Liebe Frau Kiyak. Ich fühle mich Ihnen sehr nahe. Sind Sie wie ich in psychiatrischer Behandlung?“ Ein anderer Brief kommt direkt aus dem Männerknast. Verlockend, findet Kiyak. Der ungeschlagene Star des Abends aber wird Herr Krause sein. Krause, der 38er Jahrgang, der seinen Briefen gepresste Blütenblätter beilegt. „Ich erlaube mir, Ihnen ein Gedichtlein zu schicken. Wollen wir uns zum gemeinsamen Pilzesuchen aufmachen?“ Mitten in der entgleisten Poesie werden die Mienen auf der Bühne ernst. Solche Briefe auf dem Bildschirm zu haben, mache im Einzelfall wenig Spaß.

Für die drei ist der Slam vor allem eine Plattform, auf der man „den ganzen Scheiß“ einmal nach außen tragen kann. Wenigstens ist heute Abend keiner der Leserbriefschreiber im Publikum. Einmal hat Herr Krause Kiyak neben der Bühne mit einem Blumenstrauß erwartet. „Ich werde den Teufel tun, euch meinen richtigen Namen zu nennen!“, schreibt derweil der Typ, der Özlem Topcu die Nacht der langen Messer ankündigt.

Unter großem Applaus geht die Show zu Ende. Unentschieden, der Schredder ist voll. Kopfschüttelnd verlässt der Gast den großen Saal. Und Kiyaks ewiger Abo-Kündiger fragt sich kleinlaut: „Sehr geehrte Damen und Herren. Was ist das für ein Journalismus?“ SARAH ZIMMERMANN