Doris Akrap So nicht: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr auf eure Handys schaut“
Der 7-jährige Emil möchte nicht von seinen Eltern aus dem Bällebad abgeholt werden. Der 7-jährige Emil möchte, dass die Erwachsenen sich weniger mit ihrem Handy und mehr mit ihren Kindern beschäftigen. Dafür hat er am Wochenende mit anderen Kindern in Hamburg demonstriert. 150 Leute kamen. Eine willkommene Ablenkung von den ostdeutschen Nazimob-Demos und voll süß: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr auf eure Handys schaut“, riefen sie.
Aber wie süß sind diese aufmüpfigen Kinder wirklich? Und sind sie wirklich aufmüpfig oder die Vorschau auf die nächste Generation der Kämpfer für rauch- und handyfreie Gastronomie und öffentlichen Nahverkehr? Hieß es nicht bis gerade eben noch, dass Kinder den ganzen Tag Fortnite spielen und sich YouTube-Tutorials reinziehen? Und waren nicht bis vorhin die Helikopter-Eltern das Problem, die ihren Kindern nicht nur die Handys, sondern auch den wirksamen Schutz vor tödlichen Viruserkrankungen verweigern?
Die dpa berichtete, dass Emil am Anfang der Demo auf den Schultern seines Vaters saß und durch ein Megafon sprach: „Wir sind hier, wir sind dran – Flugmodus an.“ O. K., seit 1990 gilt die UN-Kinderrechtskonvention, in der „das Recht sich mit anderen zusammenzuschließen und sich friedlich zu versammeln“ explizit zugestanden wird. Aber eine Demo gegen Eltern mit Handyproblem kann es nur in einem Milieu geben, in dem Eltern ihre Kinder auf Schultern auf Demos tragen, die sie selbst angemeldet haben. Die mitdemonstrierenden Eltern haben sich laut eigener Aussage „an die eigene Nase gefasst“, mit anderen Worten, sie haben das Problem bereits vor der Demo erkannt und hochwahrscheinlich am Küchentisch besprochen. Der Gedanke, dass es den mitdemonstrierenden Eltern möglicherweise gar nicht so sehr um die eigene Nase, sondern um die von anderen geht, liegt nahe.
Denn, ja, in den Milieus, in denen am Küchentisch nichts besprochen, sondern nur gegessen wird, was auf den Tisch kommt, hat das Handy möglicherweise die Zigarette abgelöst, die man früher ständig rauchte, beim Windelwickeln, Kochen und im Auto im Sommerferienrückreiseverkehr. Doch war nicht weniger die Zigarette das Problem, sondern das schweigende Tolerieren überforderter, aggressiver, verrohter und schlagender Eltern?
Am Wochenende geisterte noch ein anderes Kinderfoto durch die Landschaft, dass ich ähnlich verstörend fand: fünf schon etwas ältere Kinder, die aussehen wie etwas ältere, aber sehr saubere Kinder von Bankangestellten aus Bratislava oder Hamburg sind drapiert wie in einer Werbung für Eigenheimkredite. Drunter steht „Deutsche Leitkultur! Islamfreie Schulen!“, ein weiß-blaues Bayernkaro und „AfD“.
Die Fünftage-vorschau
Mi., 12. 09.
Franziska Seybold
Psycho
Do., 13. 09.Jürn KruseNach Geburt
Fr., 14. 09.
MichelleDemishevich
Lost in Trans*lation
Mo., 17. 09.
Kefah Ali Deeb
Nachbarn
Di., 18. 09.
Sonja Vogel
German Angst
kolumne@taz.de
Ich fänd’s sehr spannend, ob und wie die Eltern von Emil am Küchentisch über solche Themen reden und ob da auch schon an einem Slogan gebastelt wird wie: „Wir sind hier, wir sind laut, damit ihr in die Röhre schaut.“
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