: Weit weg vom Zeitgeist
Der Berliner Techno-DJ Henrik Schwarz und der norwegische Jazz-Pianist Bugge Wesseltoft loten mit ihrem Programm „Scripted & Prepared Pianos“ im Rahmen der UM:LAUT-Reihe im Radialsystem die klanglichen und rhythmischen Möglichkeiten des Klaviers aus
Von Stephanie Grimm
Eigentlich kommt Henrik Schwarz ja aus dem Club: Seit über 25 Jahren legt der Berliner DJ auf, verbindet scheuklappenfrei Deep House und Detroit Techno mit HipHop, Jazz, Soul und Funk und hat damit auch international einiges an Ruhm und Ehre eingeheimst. Weil er ein großes Herz für alle möglichen Klangwelten hat, ist Schwarz davon überzeugt, dass ihm „früher oder später“ jeder gute Song begegne, wie er 2006 beim Interview anlässlich seines Beitrags zur ambitionierten Compilation-Reihe „Dj-Kicks“ selbstbewusst erklärte.
Doch irgendwann genügte ihm das nicht mehr. In den letzten Jahren hat Schwarz sich verstärkt in akustischen Gefilden herumgetrieben. Zwar ist er bei Weitem nicht der einzige Musiker aus der Elektronik respektive Klassik- oder Jazzwelt, der Inspiration in einem anderen musikalischen Camp sucht. Recht ungewöhnlich mutet jedoch seine Erklärung an: „Was elektronische Musik immer angetrieben hat, waren die Fortschritte im Technologiebereich. Da hat sich in den letzten Jahren nicht so viel getan, finde ich. Deshalb nutze ich jetzt auch akustische Musik als Quelle für neue Klänge.
Im Zuge dieser Klangforschung führte er etwa eigene Kompositionen mit einem klassischen Orchester auf, dokumentiert ist das auf dem Album „Instruments“ (2015). Zudem machte er mit dem Jazzpianisten Bugge Wesseltoft und dem Bassisten Dan Berglund atmosphärischen Ambient-Noir-Jazz mit frenetischen Momenten.
Im Mai dieses Jahres erschien dann „Scripted Orkestra“, eine Zusammenarbeit mit dem Amsterdamer Metropole Orkest, bei dem Schwarz versuchte, den Entstehungsprozess und auch die Klangwelten von Techno in einen Orchesterkontext zu übertragen. Und unlängst brachte er beim Popkultur-Festival zusammen mit dem Alma Quartet „Plunderphonia“ auf die Bühne, eine Synthese verschiedener Streichquartette, die von ihm nachbearbeitet wurden.
„Allgemein formuliert“ so erklärt Schwarz die Stoßrichtung dieses neusten Projekts, „finde ich, dass man heutzutage eher Musik als Strom hört, dass sich der Sound in eine Richtung bewegt. Klassische Musik dagegen schlägt Haken, es gibt extreme Tempoänderungen und eine entsprechende Dynamik. Das ist weit weg vom Zeitgeist und hält vermutlich viele davon ab, diese Musik zu hören.“ Entstanden war dieser Versuch, klassischer Musik einen modernen Flow zu verpassen, als Auftragsarbeit des Festivals. Nach der Live-Taufe soll das Projekt erweitertet werden, im kommenden Frühjahr erscheint das „streitbare Experiment“, wie Schwarz es selbst bezeichnet, als Album.
Die Arbeit mit klassisch ausgebildeten Musikern, so erzählt Schwarz, habe ihm seine musikalischen Beschränkungen aufgezeigt: „Die Musik von Maurice Ravel zum Beispiel hat mich allein beim Hören an meine Verständnisgrenzen gebracht. Ich habe gemerkt, dass ich als Autodidakt nicht mehr weiter komme.“ Also nahm Schwarz Unterricht, musiktheoretischen sowie praktischen. Er, für den bis dato der Computer das Instrument war, lernte Klavierspielen – und entdeckte neue Welten: „Ich fühle mich fast, als hätte ich eine Ausbildung gemacht.“
Seine Faszination für das Instrument inspirierte dann auch die neue Zusammenarbeit mit Bugge Wesseltoft: „Scripted & Prepared Pianos“ heißt das Projekt, das sie im Rahmen der UM:LAUT-Reihe im Radialsystem vorstellen. Neben dem klanglichem Potential stehen dabei die rhythmischen Qualitäten des Klaviers im Fokus. „Für mich ist das Klavier sowieso in erster Linie ein Schlaginstrument. In Verbindung mit den verschiedenen Tonhöhen, die man damit spielen kann, gibt es zudem eine große Nähe zu afrikanischer Musik.“ Von der hat die elektronische Musik sich ja von jeher inspirieren lassen.
Schwarz wird das Klavier allerdings nicht live spielen, „so weit ist meine Motorik noch nicht“. Vielmehr arbeitet er mit einem sogenannten Disklavier, dessen Tasten, Hämmer und Pedale mit einer dafür programmierter Software angesteuert werden. Das Instrument wird quasi „digital präpariert“ und spielt sich dann selbst. „Durch die vielen Möglichkeiten, die man da hat, wird das schnell sehr komplex.“
Wesseltoft wird dazu am Flügel und Synthesizer improvisieren. Der Norweger arbeitete bereits lange vor dem aktuellen Jazz Revival, seit seinem Debütalbum „New Conception of Jazz“ (1997), an der Schnittstelle von Jazz und Live-Elektronik. Schwarz schwärmt heute noch von ihrer ersten Begegnung vor knapp zehn Jahren.
Ein gemeinsamer Freund hatte sie bekanntgemacht. Nachmittags haben sie bei einem Kaffee kennengelernt, abends sollte Schwarz dann gleich mit seinem Laptop auf die Bühne zu Wesseltoff. Der trat an dem Abend im Babylon Mitte auf. „Das war scary, ich hatte so was noch nie gemacht. Doch es lief super. Aus den anvisierten fünf Minuten Zugabe wurden 40 Minuten wildeste Improvisation. Mit Bugge kann ich, was wirklich selten ist, mich ohne Sprache unterhalten, nur über die Musik.“ Man wird also an den beiden Abenden etwas anderes bekommen, als das, was auf der gleichnamigen EP „Scripted & Prepared Pianos“ zu hören ist. Nach „Duo“ und „Trialogue“ ist das Minialbum der dritte gemeinsame Release.
All diese Erfahrungen haben jedoch nicht dazu geführt, dass Schwarz sich inzwischen bevorzugt in Hochkulturgefilden umtut. Im Gegenteil: „Der Club ist nach wie vor mein Zuhause“, betont er. „Und zudem ein toller Ort, Neues auszuprobieren.“ Doch das mit dem Ausprobieren kann ja in unterschiedliche Richtungen funktionieren. Vielleicht bringen seine Club-Sets dann eines Tages das Klavier als Beatmacher zurück auf die Tanzfläche. Zum Beispiel.
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