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Heimlich abgefilmte Rohfassung

Die Kraft der unvoreingenommenen Begegnung: Das Zeughauskino zeigt im September den Blick ausländischer Filmemacher*innen auf Deutschland. Dabei gibt es viel bisher Unbekanntes zu entdecken, selbst vernichtete Filme

Von Carolin Weidner

Es ist schwierig mit dem Blick von außen: Einerseits möchte man ihm nicht recht trauen, wenn man ihn selbst unternimmt – es gibt Skrupel, möglicherweise etwas übersehen zu haben, nicht befugt zu sein, nicht in der Lage, eine richtige Einschätzung zu machen. Dann wieder ist ein solcher distanzierter Blick gar nicht schlecht, weil er etwas sieht, das vielen, die sich jeden Tag mit gewissen Dingen umgeben, nicht mehr auffällt. Ein bisschen ist es so, wie eine fremde Stadt zu betreten: Man versteht sie noch nicht, aber ihr Duft, ihr Temperament, all das ist vielleicht schon zu erahnen. Eventuell ist auch das der Grund, warum man Besucher so gern nach ihrem ersten Eindruck von oder über etwas fragt.

Beklemmend und intim

Im Zeughauskino wird im Monat September eine Reihe gezeigt, zusammengestellt von Tobias Hering und Tilman Baumgärtel, in der es genau um diese Blicke, diese Gefühle von außen geht. Jene fallen teilweise viel klarer, pointierter und erschütternder aus als das, was man von innen her kennt, von Filmemachern aus Deutschland etwa, die wohl teilweise so tief in ihrer eigenen Geschichte stecken, dass ihnen das Wesentliche entgeht. Eine Beobachtung, die nicht dazu dienen soll, die einen ­gegen die anderen auszuspielen, sondern vielmehr dazu, ein Phänomen zu verdeutlichen, das man die Kraft der unvoreingenommenen Begegnung nennen könnte. Ein filmisches Dokument, in dem all das steckt und von dessen Existenz kaum jemand weiß und das trotz seiner Länge von 2,5 Stunden niemals langweilt, dafür aber nachhaltig beschäftigt, ist „Frauen in Berlin“ von Chetna Vora aus dem Jahr 1982 und aus der DDR.

Für Vora, die 1976 nach Berlin gekommen war, um an der HFF in Babelsberg Regie zu studieren, hätte „Frauen in Berlin“ der erste eigene Langfilm werden sollen, doch die Hochschule veranlasste den Abbruch an den Arbeiten sowie die Vernichtung des Negativmaterials. Jenes „Frauen in Berlin“, das heute zu sehen ist und das man sich ansehen sollte, ist eine heimlich auf Video abgefilmte Rohfassung.

Das unfreiwillige Manöver bekommt dem Film erstaunlich gut. Aufgezeichnet in Innenräumen (das höchste der Gefühle sind Balkone und Hinterhöfe), ist „Frauen in Berlin“ von einer Beklemmung und prekären Lebensverhältnissen durchzogen, die sich auch in den Schilderungen der Besuchten vermittelt. Aber nicht nur: Selten hat man Frauen mit einer solchen Offenheit über ihr Leben, über ihren Blick sprechen hören. Die geschlossenen Räume, genauso wie das unscharfe Bild, von welchem zum Zeitpunkt der Interviews noch nichts gewusst worden sein kann, generieren auch Schutzräume, um aus der Deckung zu treten, sich anzuvertrauen.

Die langen Unterhaltungen, aus welchen Chetna Vora mit wenigen Schnitten ihren Film gestaltet, zeugen von einer besonderen Intimität. Und man merkt, was möglich wird, wenn man sich für Menschen interessiert, ihnen Fragen stellt und sie dann sprechen lässt. Es gibt Gedanken in diesem Film, die aus einer großen Tiefe zu kommen scheinen und die auf alle Beteiligten – Interviewte, Filmemacherin und nicht zuletzt auf die Empfangenden – unvermittelt und frisch wirken, so, als wären für Zustände plötzlich Worte gefunden worden, und das zum ersten Mal.

Eine Frau mit Fragen war auch Shelly Silver einige wenige Jahre nach der Wende oder nach „the turn“, wie es für die Amerikanerin heißt. In „Former East/Former West“ (1994) ist sie mit einer Videokamera auf den Straßen Berlins unterwegs, auf solchen, in denen sich noch kurz zuvor der Sozialismus verwirklichen wollte und auf denen so allerhand Impulse nach außen dringen, die einen schütteln. Und auf den anderen, die jetzt tonangebend sind und wo es auch nicht viel besser klingt. Silvers Blick enthüllt kaum Schönes (obwohl es das gibt), doch das ist auch nicht seine Aufgabe. „Former East/Former West“ ist wie der Gast, den man fragt, was sein erster Eindruck war, als er aus der Bahn stieg, und der meint, es hätte gestunken. Man glaubt ihm, denn welchen Sinn gäbe es für ihn, zu lügen.

Irena Vrkljan wiederum kommt in den sechziger Jahren aus Jugoslawien nach West-Berlin an die dffb, die Reihe zeigt vier ihrer Kurzfilme. Ihr Blick gilt den Häusern und Ruinen, die sie befragt und die ihr recht poetisch antworten. In „Widmung für ein Haus“ (1966) spricht sie über das „Haus Vaterland“ am Potsdamer Platz: „Es ist November 1966. In zwei Jahren gibt es dieses Haus nicht mehr. Eine Straße wird seine Geschichte beenden und vergessen.“ Ihr letztes Bild, ihr letzter Blick gilt einem Bäumchen, das auf einer Brache wächst.

In deutscher Gesellschaft.Passagen-Werke ausländischer Filmemacher*innen 1962 – 1992 im Zeughauskino, 31. 8.–20. 9.

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