piwik no script img

Auftragübererfüllt

Er sollte 1969 eine TV-Krimireihe entwickeln – und erfand den „Tatort“: Gunther Witte ist gestorben

„Die deutschen Fernsehsender zeigen zu viele Krimis.“ Das hat Gunther Witte 2010 gegenüber der taz gesagt. Erstaunliche Worte von dem Mann, der mindestens mitschuldig ist an dieser Entwicklung. Denn Witte hat ebenjenes Krimi-Format entwickelt, das heute nicht nur den Sonntagabend im Ersten, sondern mit seinen Wiederholungen auch noch diverse abendliche Plätze in den Dritten Programmen blockiert: den „Tatort“.

1969 soll Günter Rohrbach, damals Leiter der Hauptabteilung Fernsehspiel im Ersten Programm und damit Wittes Chef, ihn zu einem Spaziergang gebeten haben. Das ZDF hatte im selben Jahr die Krimiserie „Der Kommissar“ gestartet. Sehr erfolgreich. Die ARD musste kontern. Der unmissverständliche Auftrag Rohrbachs an Witte: „Heben Sie mir den ‚Kommissar‘ aus dem Sattel!“

Also hielt sich Witte, 34 Jahre alt, ran. Obwohl er laut eigener Aussage eigentlich keine Ahnung hatte vom Fernsehen, kam er – 1935 in Riga geboren, aufgewachsen in Ost-Berlin – doch vom Theater. Aber Auftrag ist Auftrag. Und er erinnerte sich, so erzählte er später, an eine seiner Lieblingssendungen aus dem Rias: „Es geschah in Berlin“. Reale Kriminalfälle, dramatisch fürs Radio aufbereitet. Das adaptierte er: Regionale Kriminalfälle, jeweils ein Ermittler im Mittelpunkt, das „Tatort“-Erfolgsrezept – es schmeckte den Fernsehspielchefs der anderen Rundfunkanstalten gar nicht. Zunächst. Dann drehte der Wind. Witte wusste nicht warum, aber plötzlich musste es ganz schnell gehen: Am 29. November 1970 lief mit „Taxi nach Leipzig“ der erste „Tatort“.

Es folgen Götz George als Schimanski, Jan Josef Liefers und Axel Prahl als Thiel und Boerne, Til Schweiger als Nick Tschiller. Der „Tatort“ wird zum einzigen Programm, das es heute noch mit Fußball-Länderspielen aufnehmen kann. Und auch Witte steigt auf: Er wird Fernsehspielchef des WDR, setzt noch einen weiteren ewigen Programmplatzbesetzer im Ersten durch: die „Lindenstraße“. Und wacht weiter über seinen „Tatort“.

„Mich überlebt der ‚Tatort‘ auf jeden Fall“, hat Witte zum 40. Jubiläum der Serie gegenüber Spiegel Online gesagt. Am Donnerstag starb Witte im Alter von 82 Jahren „unerwartet“, wie der WDR am Montag bekannt gab, in Berlin. Am kommenden Sonntag läuft der nächste „Tatort“. Folge 1.064. Jürn Kruse

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen