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Es kommen nochhärtere Tage

Eine toll-traurige Nacht: Die biennale Tanznacht zum40. Geburtstag der Tanzfabrik vergärt den Sommer

„Later“ von Julia Rodriguez Foto: Julia Rodriguez

Von Astrid Kaminski

Was für ein Abend! Der Sommer steht zwar auf der Kippe, aber auf dem Hof der Uferstudios im Berliner Wedding vibriert und pulsiert es – das Bummbumm von Herzen, die von da nach dort treiben, Umarmung, Küsse, Freudentaumel, das Bummbumm von Bässen, die aus den geschäftigen Studios dringen, das Holterdipolter von Technik und Podesten beim Manövrieren durch die Menge, das Geschiebe und Gedrängel vor dem Einlass, das Cincinmit Bier und Limo zum Wiedersehen nach den Ferien oder zum 40. der Tanzfabrik. Die biennale Tanznacht, die in diesem Jahr gleichzeitig eine Geburtstagsfeier für die ausrichtende Tanzfabrik ist, beginnt so perfekt, wie es nur sein kann, wenn eine Szene sich selbst feiert.

Und feiern ist angesagt: Die Tanzfabrik hat die Basis für den zeitgenössischen Tanz in Berlin gelegt und die Stadt damit zu einer Weltstadt des Tanzes gemacht – zu einer Weltstadt ohne eigene Bühne für den Tanz, aber das ist ein anderes Kapitel. Immerhin ist es der Politik inzwischen selbst etwas peinlich, warum sie über das gesamte Jahr 2018 hinweg einen Runden Tisch mit Szenevertretern einberufen hat.

Körper als Gefäß

Zurück auf den Hof und vom Hof in die Studios: Silke Bake hat auch diese viertägige Tanznacht wieder kuratiert, und es wurde, wie auch die Nächte der vergangenen Jahre, ein Programm aus „Arbeitsweisen und Erinnerungen“, aus Wiederaufnahmen, Tryouts, Premieren mit Potential und Szenespielplatz. In dieser Ausgabe unter dem Titel „Aus dem Echoraum“ liegt ein Fokus auf einer Neubefragung des Verhältnisses von Tanz und Musik als Verhältnis zwischen Stimme, Klangerzeugung, Hören, Resonanz und Körper. Gemeinsam ist den Arbeiten in ihrer Summe vielleicht der latente Wunsch, den Körper weniger zum Repräsentanten als zum Gefäß werden zu lassen, weniger zum Statthalter des Ichs als zum Platzhalter seines Potentials, weniger Ich als Interface, weniger Form als Gärungsprozess.

So ist Xavier Le Roys Eröffnungsstück „Untitled 2014“ der Frage nach Repräsentation und Autorschaft gewidmet. Ein abenteuerliches Konstrukt aus Konzept und Theaterzauber: Im ersten Teil referiert der Choreograf auf ein Stück von 2005, das titel- und urheberlos durch Europa getourt sei, das er nun aber offenbar als sein eigenes deklariert. Da er jedoch jede Erinnerung daran verloren habe, soll das Publikum ihm durch Fragen helfen, es wieder präsent zu machen. In dem Maß, in dem die Frager*innen durch ihr Engagement das Stück generieren, werden sie nun gleichzeitig Teil davon. Oder aber sie verweigern sich der Mitautorenschaft: „Können wir diesen Teil überspringen?“, wird von irgendwoher eingeworfen.

Was dann in Teil zwei und drei geboten wird, bedeutet einen ziemlichen Sprung von der Werkkonstruktion zur Subjektkonstruktion und knüpft an das alt-neue Thema Mensch und Maschine, Mensch und Marionette, Mensch und Homunkulus genauso an wie an die Macht der Vorstellung, die im abgedunkelten Raum Beziehungen zwischen Mensch und tanzender Gliederpuppe herstellt. Wo die Unterschiede liegen, wird dann im dritten Teil auf ironische Weise klar: Im Verhältnis zum durch Seilzüge geregelten spektakulären Puppentanz haben die Glieder des 55-jährigen Le Roy ein Problem: ihre Gelenke. Und so geraten schon die Aufwärmübungen zum Geschrei und das Geschrei zum Kommentar: Ah! Aaah! Aaaaaaah!

Ein Leben mit Filmrissen, das nur funktioniert, wenn die Technik stimmt

Die Neigung zur dadaistischen Kommentarfunktion auf das Dasein kann dann auch als Motto in den Produktionen der next generation gelten: Zu feministischer Selbstliebkosung zweckentfremdete, zerrupfte und verlegte Staubwedel werden in der poetisch verträumten Fassung von Julia Rogríguez’ „Later“ zum Symbol einer verschwindenden Welt, an die einzig ein in seiner schwerelosen Exaktheit hyperrealistisch anmutender Volkstanz wie ein Film aus einer Zeitkapsel erinnert.

In Sheena McGrandles’ „Figured“, kongenial getanzt mit Annegret Schalke, werden zwei urbane Piratinnen in Stop-Motion- und Rewind-Technik über die analog bespielte Leinwand gespult. Ein Leben, dessen Sinn sich aus dem Wiederabspulen seiner medialen Spuren ergeben soll, oder auch ein Leben mit Filmrissen, das nur funktioniert, wenn die Technik stimmt.

Aber was heißt, wenn der Kampf um Begreifbarkeit für verloren erklärt wurde, auf einer inhaltlichen Ebene schon „funktionieren“? Als in „Songs for Love and Rage“ – einem sechsstündigen „concert for choreography and music and the spaces within“ und dem Herzstück der diesjährigen Tanznacht – plötzlich die Technik ausfällt und ein Act zweimal unterbrochen werden muss, erlöst das Nicht-Funktionale kurzzeitig das Banale, das sich im Lauf der Nacht breitmacht: Denn wenn die Angst vor Liebe und Wut nur Dada und (in drei von sechs Stunden) keine einzige Songzeile hervorbringt, die ins wummernde Herz trifft, und keinen Schrei, der dich erwischt, dann hat das zwar Charme, wenn es zusammen in gewächshausartigem Dekor und auf Schaffellen ausgehalten wird, aber es ist auch bitter. Gär, gär. Wumm wumm.

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