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Arg beunruhigend

Fastabsteiger Wolfsburg schlägt Vizemeister Schalke. Eigentlich bemerkeswert. Doch es wird nur über den Videoschiri gesprochen

Aus Gelb wird Rot: Schiedsrichter Patrick Ittrich verweist Schalkes Matija Nastasic des Feldes. Von sich aus wäre er nicht auf diese Idee gekommen Foto: dpa

Aus Wolfsburg Christian Otto

Die deftigen Gesänge hatten sich nach der Pause gehäuft und einen klaren Ursprung: „Scheiß DFB!“ Im Stadion des VfL Wolfsburg skandierte vor allem der Anhang des FC Schalke 04, was vom ersten Spieltag der neuen Bundesligasaison und dem aktuellen Reglement im deutschen Fußball zu halten sei. Dass Wolfsburg stark gespielt hatte und Vizemeister Schalke mit einem 2:1-Heimsieg in die Knie zwang, ging in der aufgeheizten Debatte rund um den Einsatz des Videoassistenten unter. „Das Spiel wird unterbrochen. Die Spieler sind aufgebracht, und der Schiedsrichter wird nervös. Das ist nicht gut“, sagte Schalkes Stürmer Guido Burgstaller nach einer turbulenten Partie mit kuriosen Momenten. Die Begegnung in Wolfsburg wird noch eine Weile als Kronzeuge dafür herhalten, warum das Zusammenspiel zwischen Schiedsrichter und Videoassistent große Gefahren birgt. Aber der Reihe nach …

Führungstreffer für Wolfsburg durch John Anthony Brooks (33. Minute), Ausgleich per Elfmeter von Nabil Bentaleb (85.), Siegtreffer durch Daniel Ginczek in der Nachspielzeit: Das sind die bloßen Fakten. Aber nach einer turbulenten Partie war sich die Mehrheit der 26.621 Zuschauer einig, ein einerseits sehr sehenswertes und zugleich total verrücktes Spiel hautnah miterlebt zu haben. In der Kritik stehen erneut der Deutsche Fußball Bund und die Deutsche Fußball-Liga, unter deren Regie das Geschehen in den heimischen Profiligen gerechter und professioneller werden soll. Zum Start der Saison 2018/19 hat das nicht wirklich geklappt.

Die strittigen Szenen: Schalkes Verteidiger Matija Nastasic trifft Wolfsburgers Stürmer Wout Weghorst und wird zunächst mit einer Gelben Karte dafür bestraft. Nach Ansicht der Fernsehbilder wird daraus noch eine Rote Karte (65.), was Hektik entstehen lässt. Sekunden später wird Weghorst für einen unglücklichen Rempler vom Platz gestellt, dann aber nach einer Intervention des Videoassistenten begnadigt und darf mit einer Gelben Karte verwarnt weiterspielen. „Der Schiedsrichter hat völlig den Faden verloren“, meinte Schalkes Sportvorstand Christian Heidel. Er wollte auch zum Ausdruck bringen: Jedes Eingreifen des Videoassistenten schwächt und verunsichert den Schiedsrichter – in diesem Fall Patrick Ittrich.

Es war bewundernswert, wie tapfer sich dieser hinterher den Fragen der Journalisten gestellt hat. „Es war am Ende so emotional und ein schweres Spiel für mich“, gestand der Schiedsrichter. Der vierter Unparteiische soll sich an der Außenlinie mit Schalkes Cheftrainer Domenico Tedesco („Ich wurde durchbeleidigt“) deftige Wortgefechte geliefert haben. Szenen wie diese belegen, dass die Ansicht von Fernsehbildern nur bedingt eine beruhigende Wirkung aus das Spiel hat. In Wolfsburg wurde in der zweiten Halbzeit fast nur doch diskutiert und protestiert.

„Die Bundesliga ist super“

Wolfsburgs Weghorst über seine Rote Karte, die zu Gelb wurde

Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man bei seinem Debüt in der Bundesliga erst die Rote Karte sieht, extrem traurig an der Seitenlinie steht und dann plötzlich doch wieder mitspielen darf? „Die Bundesliga ist super“, sagte der Niederländer Weghorst und grinste. Am Ende konnte er über das ganze Tohuwabohu, wie es Schalkes Entscheider Heidel nannte, lachen. Kein Wunder: Wolfsburg hatte von den korrigierten Entscheidungen profitiert und gewonnen.

Die Mehrheit der Spieler aus Wolfsburg und Gelsenkirchen reagierte erstaunlich besonnen. „Solche Momente mit dem Videoassistenten sind emotional hart“, berichtete VfL-Kapitän Jo­shua Guilavogui. Im Sekundentakt vor neue Fakten und Entscheidungen gestellt zu werden, das beschäftigt selbst ganz erfahrene Profis.

„Aber es ist alles legitim. Wir brauchen uns nicht zu beschweren“, sagte Schalkes Chefcoach Tedesco. Ihm lag nur schwer im Magen, dass die Schiedsrichter aus seiner Sicht kein gutes Stressmanagement bewiesen hatten. „Ich lege großen Wert darauf, wie man miteinander umgeht“, sagte der 32-Jährige Trainer. Tedesco wird in diesen Tagen gewiss nicht zu denen zählen, die dem Video­assistenten und damit dem aktuellen Reglement im deutschen Fußball eine beruhigende Wirkung bescheinigen.

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