: Ein Kuchen für jede Jahreszeit
Oma-Rezepte sind praktisch. Und bewährt. Dieses eignet sich für alles, was auf einem Bauernhof wächst, und ist sicher hundert Jahre alt: Aber wehe, man hat es nicht auf Papier
Von Steffi Unsleber
Meine Großeltern waren Bauern. Als Kinder standen wir oft auf dem Acker und haben Steine gesammelt. Oder wir saßen auf dem Traktor und haben bei der Kartoffelernte geholfen. Der Hof ist immer vom ältesten Sohn an den ältesten Sohn übergeben worden. Mein Vater war der jüngste und wurde Werkzeugmacher. Aber wir wohnten ganz oben am Dorfrand, umgeben von den Feldern meiner Verwandten. Die Bewegungen der Traktoren strukturierten das Jahr.
Im Dorf gab es keinen Supermarkt, nur einen Bäcker. Meistens gab es deshalb einfach das zu Essen, was auf dem Acker oder im Garten gerade so wuchs. Rezepte mussten zwei Bedingungen erfüllen: Sie hatten universell zu sein, damit man sie für möglichst viele Obst- und Gemüsesorten nutzen kann, je nachdem, was Saison hatte. Und sie sollten viele hungrige Feldarbeiter satt machen.
Als ich kürzlich meine Oma besuchte, trug sie eine Kittelschürze und war mal wieder am Backen. Jeden Samstag tut sie das, hat sie mir mal erzählt, auch wenn sie inzwischen 85 ist. Denn am Sonntag kommt meistens Besuch und da will sie etwas zum Anbieten haben. Die paar Rezepte, die sie immer wieder macht, verwahrt sie in einem Ordner. Immer, wenn meine Oma bäckt, schlägt sie ihn auf und legt sich das Rezeptblatt neben die Rührschüssel.
Eines davon trägt den schlichten Titel „Obstkuchen“. Es ist etwas vergilbt. Vor einigen Monaten durfte ich mal ein Foto davon machen. Ich hatte ihr erzählt, dass ich auch gerne backe. Als ich sie vor einigen Wochen besuchte, hatte sie es tatsächlich verlegt – und war deshalb etwas kopflos. Sie war schon mitten im Teigansetzen, ihre Hände waren voller Mehl. Sie war ziemlich verblüfft, als ich ihr sagte, dass ich das Rezept auf dem Handy dabeihabe. Ich musste ihr dann jeden Schritt laut vorlesen.
„Theres“ hat sie oben rechts auf dem Blatt vermerkt. Das bedeutet, dass sie das Rezept von einer Großtante bekommen hat, die aus Theres kommt, etwa vierzig Kilometer von ihrem Ort entfernt. Das Rezept ist etwa hundert Jahre alt. Aber es ist immer noch sehr praktisch. Es lässt sich nämlich fast jedes Obst verarbeiten. Und – nach dem gleichen Prinzip, aber mit etwas anderen Zutaten – auch fast jedes Gemüse.
Zuerst macht man einen Mürbeteig. Dazu schneidet man die kalte Butter in Würfel und verknetet sie rasch mit dem Mehl, dem Zucker und dem Ei. Den Teig zu einer Kugel formen, zudecken, im Kühlschrank eine Stunde ruhen lassen.
Das Obst wird zerkleinert. Äpfel werden gehobelt, Zwetschgen geviertelt, Himbeeren und Heidelbeeren dürfen so bleiben, wie sie sind.
Den Ofen auf 170 Grad vorheizen, eine Springform mit Backpapier auslegen und die Seiten mit einem Stückchen Butter oder etwas Öl einfetten. Den Mürbeteig aus dem Kühlschrank nehmen, auf einer bemehlten Unterlage dünn ausrollen, in die Springform legen und die Seiten hochziehen – je nach Menge der Füllung höher oder niedriger.
Bei den meisten Obstsorten lohnt es sich, den Mürbeteig blind – also unbelegt/ungefüllt – vorzubacken. Dazu beschwert man ihn mit Backpapier und ein paar Handvoll Hülsenfrüchten wie Bohnen oder man stellt eine zweite, kleinere Backform darauf. Er kommt für 20 Minuten bei 170 Grad in den vorgeheizten Ofen. Verwendet man Äpfel oder Zwetschgen, kann man den Kuchen auch gleich damit füllen und alles zusammen in den Ofen schieben. Dann sollte man die Backzeit auf 30 Minuten erhöhen. Je nach Süße des Obstes kann man auch etwas Zucker untermischen.
In der Zwischenzeit stellt meine Oma die Baiserhaube her: Vier Eiweiß werden steif geschlagen, dabei lässt man 90 Gramm Zucker einrieseln. 50 Gramm Mandeln mit dem restlichen Zucker mischen. Die Mischung wird unter das Eiweiß gehoben. Man sollte auf keinen Fall den Zucker weglassen, denn dann schmeckt das Eiweiß fad.
Das übrig gebliebene Eigelb sollte man unbedingt aufheben und weiterverarbeiten, zum Beispiel zu Rührei.
Kuchen aus dem Ofen nehmen, falls noch nicht geschehen: Obst darauf verteilen, Eiweißmasse darüber geben, nochmal 20 Minuten backen. Auskühlen lassen. Wer mag, kann noch etwas Puderzucker drübersieben.
Für den Obstkuchen
Mürbeteig: 200 Gramm Mehl, 150 Gramm kalte Butter, 1 EL Zucker, 1 Ei
Baiserhaube: 150 Gramm Zucker, 50 Gramm gemahlene Mandeln, vier Eiweiß, Obst der Saison
Für den Gemüsekuchen
Mürbeteig: 200 Gramm Mehl, 150 Gramm kalte Butter, 1 Ei, 2 EL geriebenen Hartkäse, einen halben Teelöffel Salz
Füllung: 300 Gramm Ziegenfrischkäse, 2 Eier, ein Schuss Milch
Wir essen den Kuchen mit Schlagsahne und einer Tasse Kaffee.
Wer noch nicht genug hat: Nach dem gleichen Prinzip kann man viele Gemüsesorten verarbeiten. Dazu ersetzt man den süßen Mürbeteig durch einen salzigen – statt Zucker verwendet man etwas geriebenen Hartkäse. Und statt einer Baiserhaube macht man eine Ziegenkäsefüllung.
Auch hier wird der Mürbeteig blind vorgebacken, die Zeiten sind identisch mit der süßen Variante. Anschließend verrührt man den Ziegenfrischkäse – man kann auch Crème fraiche oder Feta verwenden, falls man noch Reste verwerten muss – mit ein bisschen Milch und zwei Eiern. Die Käsecreme füllt man in den blind gebackenen Mürbeteig. Das Gemüse (Tomaten, Zucchini, Kürbis, Rote Beete oder Karotten) verteilt man darauf und backt alles bei 160 Grad für eine weitere halbe Stunde.
Je nachdem, wie lange das Gemüse braucht, um gar zu werden, sollte man es in größere oder kleinere Stücke schneiden. Blumenkohl oder Brokkoli sollte man vorher kurz blanchieren.
Da jeder Ofen anders ist, gilt wie immer die Regel: Sobald das Produkt appetitlich aussieht, ist es vermutlich fertig.
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