: Motocross und Gold Card
Die Künstlerin Amy Ball zeigt in ihrer Wochenendinstallation im Haus am Lützowplatz Geschlechterklischees und deckt in ihrer Performance banale Alltagsprobleme der Konsumgesellschaft auf
Von Lorina Speder
Amy Ball steht im Pullover, Jeans und Sneakern vor dem Publikum und blickt geradewegs in die Menge. Ein schwarzer Motorradhelm verdeckt ihr Gesicht und man mag sich nicht vorstellen, wie warm der Künstlerin sein muss. Nur einmal findet ihre Performance am vergangenen Wochenende statt, inmitten ihrer eigenen Sound- und Videoinstallation. Das erklärt die vielen Besucher, die sich in dem dunklen, stickigen Raum des Haus am Lützowplatz um die Kanadierin drängen.
Die wenigsten Besucherinnen können einen Blick auf das verkabelte Equipment auf dem Boden werfen, über das sich Ball zu Beginn ihres Auftritts beugt. Dabei nimmt sie das Mikrofon in die Hände und beginnt damit Motorgeräusche zu machen und per Loop-Pedal durch einen kleinen Gitarrenverstärker zu jagen. Sie brummt die Sounds mit ihrer Stimme und man muss unweigerlich an kleine Kinder denken, die Autos nachmachen.
Balls Performance und die dazugehörige, zwei Tage lang ausgestellte Videoinstallation tragen den Namen „Woman“. Es ist der Auftakt der Serie „Assemble“ von den Kuratorinnen Anna Gien und Adela Yawitz. Die beiden lernten sich vor drei Jahren durch ihre Arbeit am KW Institute for Contemporary Art kennen und beschlossen Liveperformances im Kunstkontext eine Plattform zu geben – etwas, das sie im Kunstbetrieb bis dahin vermissten. Nun gastiert „Assemble“ in jedem weiteren Monat in diesem Jahr an einem anderen Ort in Berlin. Das Projekt wird durch den Hauptstadtkulturfonds gefördert.
An „Assemble“ arbeiten Yawitz und Gien nun schon über ein Jahr. Auf Amy Ball, die 2017 ihren Abschluss an der Frankfurter Städelschule gemacht hat, stieß Adela Yawitz im Kunstverein Göttingen. Dort hatte die Künstlerin Anfang des Jahres ihre erste institutionelle Ausstellung in Deutschland. Yawitz war begeistert davon, wie geschickt Ball die oft banalen Vorstellungen davon, was „Männlichkeit“ bedeutet, darstellt und in Frage stellt, und schlug sie für „Assemble“ vor.
Wie in Göttingen stehen auch im Haus am Lützowplatz gesellschaftliche Bilder von Maskulinität im Fokus der 1987 geborenen Künstlerin. Allein der schwarze Motorradhelm, den sie während ihrer Performance nicht abnimmt, zeigt das. Damit bewahrt sie einerseits ihre Anonymität und belegt das mit Männern verbundene Motocross-Biken mit ihrer weiblichen Person. Auch die Videoprojektionen spielen darauf an, die den Raum als einzige Lichtquelle erleuchten. Darin erkennt man einzelne Motocross fahrende Personen, die wie in der Werbung mit flatternden Hemden durch entlegene Landschaften fahren. Zu den Kamerafrauen, welche die Bilder im Nordwesten Kanadas einfingen, gehört die Künstlerin selbst. Wer da so sorgenfrei auf den Rädern durch die Landschaften rast, ist für die Performance eigentlich egal. Ball macht ihr Statement bereits schon durch ihr Outfit mit Helm. Trotzdem kommt man nicht darum herum, den Ausstellungstext genauer zu studieren. Und da steht es: Natürlich fahren in Balls Videos, die an den Wänden gezeigt werden, nicht nur Männer, sondern auch Frauen auf den brummenden Bikes der Freiheit entgegen.
Das Bild von der männlichen Freiheit auf zwei Rädern ist aber nicht das einzige Klischee, mit dem die Künstlerin einen am Abend zum Schmunzeln bringt. Denn nachdem Ball in den ersten Minuten per Loop-Pedal eine gewaltige Soundkulisse an brummenden Motoren aufgebaut hat, beginnt sie zu sprechen. Und genau wie das Titelwort der Ausstellung „Woman“ Stereotypen beinhaltet, schneiden ihre vokalen Personifizierungen von Michael und Michelle mindestens genauso viele gesellschaftliche Klischeevorstellungen an.
Dabei ist die Entblößung der geheuchelten Wichtigkeit einer „Delta Premium Gold Card“ für den nächsten Flug nach Washington genauso lustig wie die pseudo-intellektuellen Bemerkungen von Michael und Michelle, die bekunden, dass sie reisen, um in andere Kulturen einzutauchen. Ball kriecht bei der Bemerkung auf dem Boden, räkelt sich und wiederholt „I loooove experiencing different cultures!“
Die Entrüstung und Enttäuschung ihrer Charaktere darüber, dass das Four Seasons auf Bora Bora den Marine Detox aus dem Programm genommen hat, ist das krönende Ende dieser Aneinanderreihung von Floskeln. Nachdem die Künstlerin daraufhin plötzlich verschwindet und ihren Jubel und Applaus aus der Ferne wahrnimmt, laufen die Soundkulisse aus ihren Brummgeräuschen und die Videos der Biker in den Räumen weiter. Zeit, die Videos nun mit anderen Augen zu betrachten.
Nächster Termin von „Assemble“: Isabelle Schad, Berlinische Galerie am 15. September
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