Vorbote des Prager Frühlings

Das Kino in der Brotfabrik zeigt das eindrucksvolle slowakische Drama „Der Boxer und der Tod“ (1963) über einem boxbesessenen KZ-Kommandanten

Häftling Komínek (Štefan Kvietik) wird als Ex-Boxer vom KZ-Kommandanten Kraft (Manfred Krug, (rechts) bevorzugt behandelt Foto: Bildstörung

Von Fabian Tietke

„Wird es draußen lange dauern?“, fragt die Frau des Kommandanten während dieser sich nach dem Boxtraining den SS-Kragenspiegel richtet und die Mütze aufsetzt. Dann geht KZ-Kommandant Kraft (Manfred Krug) hinaus auf den Appellplatz, um eine Gruppe von Juden nach einem Fluchtversuch zum Tod zu verurteilen.

Doch kurz bevor der Häftling Komínek (Štefan Kvietik) umgebracht wird, findet Kraft heraus, dass dieser, bevor die Deutschen ihn in ein Konzentrationslager verschleppt haben, Boxer war. Kraft freut sich, endlich ein Gegenüber für sein Boxtraining gefunden zu haben und beginnt, Komínek bevorzugt zu behandeln. Vor dem nächsten Kampf bekommt er mehr und besseres Essen.

Der Film „Boxer a smrt“ („Der Boxer und der Tod“) des slowakischen Regisseurs Peter Solan erzählt ein ungewöhnliches Drama vor dem Hintergrund des Vernichtungsprogramms. Der Film gilt als einer Vorboten des filmischen Prager Frühlings. Solan und sein Film sind jedoch in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten. Das Kino in der Brotfabrik zeigt ihn in dieser Woche einige Male als Wiederaufführung. Solan konzentriert sich in der Inszenierung auf das Duell der beiden Männer und die internen Spannungen unter den Häftlingen, aber auch unter der deutschen Wachmannschaft.

Die Privilegien, die ­Komínek genießt, werden von seinen Mithäftlingen ­argwöhnisch ­beäugt. Komínek sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, ein Spitzel zu sein. Aber auch unter den Deutschen treten ­Spannungen zu Tage: Krafts Stellvertreter missbilligt die Eskapaden seines Vorgesetzten und der Gehilfe des Kommandanten, dem die Aufgabe zugeteilt wurde, sich um Komínek zu kümmern, sieht in ihm ebenso ein Ventil gegen seinen Vorgesetzten wie der Lagerarzt.

Solans Planungen zu „Der Boxer und der Tod“ reichen einige Jahre zurück. Zunächst gab es jedoch Einwände gegen die aus Sicht der damaligen Behörden zu wenig negative Darstellung der Deutschen. Solan setzt ganz auf die schauspielerische Kraft und die gegensätzliche Körperlichkeit seiner beiden Hauptdarsteller. Manfred Krug spielt Kraft bullig und als Boxer, der seinen Posten als KZ-Kommandant pflichtbewusst ausübt, ihn aber eher als Unterbrechung seiner Boxerkarriere betrachtet. Der hochgewachsene Štefan Kvietik hingegen verleiht Komínek mit seinem schlaksigen Körper zunächst den Eindruck von Zerbrechlichkeit, aus der er sich mit der Zeit herausarbeitet. Solan haucht den langen Schwarz-Weiß-Einstellungen seines Kameramannes Tibor Biath durch die Musik Wiliam Bukovýs die psychologische Spannung des Duells der beiden Männer ein.

Die Geschichte von einem boxbesessenen KZ-Kommandanten, dem die sportliche Herausforderung wichtiger ist als die regelkonforme Mitwirkung am Vernichtungsprogramm, die der slowakische Regisseur Peter Solan 1963 in „Der Boxer und der Tod“ erzählt, überrascht zunächst. Doch Solans Film, der auf einer Erzählung des jüdischen polnischen Autoren Józef Hen beruht, ist nicht ohne Parallele. Nahezu zeitgleich drehte der ungarische Regisseur Zoltán Fábri mit „Két félidő a pokolban“ („Zwei Halbzeiten in der Hölle“) den ersten Film über ein historisches Fußballspiel zwischen ukrainischen Kriegsgefangenen und der deutschen Wachmannschaft.

In Fábris Film sind die Ukrainer jedoch auf wundersame Weise zu Ungarn geworden. Im Vergleich beider Filme fällt noch stärker auf, wie sehr Solan auf die Stärke der Erzählung vertraut, während Fábri schmetternden Patriotismus bedient. Beide Filme wurden in den 1980er Jahren in den USA im Zuge eines nach der Serie „Holocaust“ neu erwachten Interesses neu verfilmt: „Két félidő a pokolban“ wurde 1981 mit Sylvester Stallone in der Hauptrolle von John Huston als „Escape to Victory“ verfilmt, „Der Boxer und der Tod“ wurde von Robert M. Young mit William Defoe in der Hauptrolle als „Triumph of the Spirit“ für das US-Publikum adaptiert.

Durch seine zurückhaltende Inszenierung entfaltet Solans „Der Boxer und der Tod“ auch vier Jahrzehnte nach seiner Premiere eine beeindruckende Kraft. Letzteres dürfte auch damit zusammenhängen, dass Solan die Außenaufnahmen in einem realen 1941 errichteten, jüdischen Arbeitslager nahe der Stadt Nováky drehen ließ. In „Der Boxer und der Tod“ verbinden sich die bedrückende Atmosphäre des Drehorts, die atmosphärisch dichte Vorlage Józef Hens und die Inszenierung Peter Solans zu einem eindrucksvollen Film, von dem man nach dem Sehen nicht weiß, wie er je vergessen werden konnte.

„Der Boxer und der Tod“ („Boxer a smrt“), Kino in der Brotfabrik, Caligariplatz 1, 23. 8. und 26.–29. 8., jeweils 19 Uhr