die dritte meinung: Ein Pflichtjahr – oder du zahlst mehr Steuern, schlägt der Sozialökonom Gerd Grözinger vor
Gerd Grözinger
leitet die Abteilung für Sozial- und Bildungsökonomik der Europa-Universität Flensburg.
In der neu aufgeflammten Diskussion über ein Pflichtjahr bedauern nicht wenige Stimmen, dass mit der Abschaffung der Wehrpflicht auch der Zivildienst verschwand. Und somit der Verlust einer Lernerfahrung für viele. So spricht der in der Verteidigung eines liberalen Rechtsstaates äußerst meritenreiche Heribert Prantl davon, es sei vielleicht eine „aufgedrängte Bereicherung“ gewesen, aber es war wenigstens eine. Solche Positionen sind unerwartet populär. Im ZDF-Politbarometer haben sich 68 Prozent der Befragten für ein Pflichtjahr ausgesprochen. Selbst bei den Wählern der Linken, Grünen und Liberalen gab es Mehrheiten dafür.
Deshalb hier ein Vorschlag, der diese Lernerfahrung ermöglicht, aber doch auf Freiwilligkeit basiert. Jungen Erwachsenen wird die Wahl zwischen Natural- und Geldleistungen angeboten. Ganz praktisch, entweder jetzt ein Pflichtjahr abzuleisten oder lebenslang einen Zuschlag auf die Einkommensteuer von 10 Prozent zu zahlen. Der Ertrag über ein Arbeitsleben würde so im Durchschnitt ungefähr dem Einkommen entsprechen, das man erhält, wenn man statt des Sozialdienstes ein Jahr gegen Entgelt arbeitet. Zwangsarbeit wäre das nicht mehr zu nennen, also juristisch vorteilhaft. Und ein positiver verteilungspolitischer Nebeneffekt dürfte sein, dass Kinder reicherer Haushalte mit besseren Bildungskarrieren hier absehbar mehr zahlen würden und vielleicht gerne das Jahr wählten. Diese künftige Funktionselite hat aber Erfahrungen etwa in einem Pflegeheim oder auf einer Umweltstation wohl am meisten nötig.
Perfekt wäre das Arrangement, wenn es auch später noch möglich wäre, die Entscheidung gegen ein Sozialjahr zu revidieren und ein Sozial-Sabbatical einzulegen. Dafür entfiele dann der Zuschlag auf die Einkommensteuer. Man wird hier eine Reihe zusätzlicher Regelungen treffen müssen, wie vor allem das Recht auf eine Rückkehr zum Arbeitsplatz. Somit wäre es ganz nebenbei noch der Einstieg in eine später auszubauende Sabbatical-Lösung für alle.
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