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berliner szenenAn die Ampel pissen

Mein Freund steht mit dem Lastenrad rechts neben mir an der Fußgängerampel. Es ist nach 22 Uhr, irgendwo zwischen Friedrichshain und Mitte. Ein paar angetrunkene, englischsprachige Touristen drängeln sich zwischen uns. Alles so weit ganz normal, für eine laue Sommernacht in Berlin.

Als ein paar von den Touris unseren Sohn entdecken, der im Anhänger liegt und schläft, und „sh, sh, he’s got a baby in there!“ rufen, fällt mir auf, dass es nur Männer sind. Während die Gruppe rechts von mir meinen Sohn bestaunt und mit meinem Partner schäkert, holt ein Mann links von mir seinen Penis raus und pinkelt an die Ampel.

Ich gucke einmal angewidert, doch richte ich dann meinen Blick lieber nach rechts, zu meinem Freund und dem netten Smalltalk. Die Männer versperren mir den Blick auf meinen Sohn und haben meinen Freund und mich anscheinend nicht als Paar wahrgenommen, denn für mich interessiert sich der rechte Teil der Gruppe nicht.

Dann wird es auch schon grün. Mein Freund fährt langsam los. Ich will auch gerade starten, da merke ich, dass es noch eine dritte Gruppe Männer gibt, die hinter mir ist. Zwei Typen halten mein Hinterrad fest. Gleichzeitig erwischen nun ein paar Tropfen Urin mein linkes Bein. Es ist ein sehr kurzer Moment, aber ich fühle mich ausgeliefert. Ich verliere die Contenance, drehe mich um und brülle: „Fuck you!“

Die Typen lassen das Rad los und lachen.

Ein paar Meter weiter erzähle ich meinem Freund, was links vom Ampelpfosten vor sich ging – er hat nichts davon gesehen – und warum ich ausgerastet bin. Er reagiert erschrocken und entsetzt. „Wenn ich das mitbekommen hätte, dann …“, und ich denke: Dann wäre es auch nur eine ganz gewöhnliche Nacht in Berlin gewesen, nicht besser, nur anders.Katharina Schwirkus

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