Anne Haeming
Der Wochenendkrimi
: Ich sehe was, was du nicht siehst – und das ist ziemlich beängstigend

Johnny Depp II: Der Schürhaken, gern genommene Waffe in Thrillern – in diesem Fall von Schriftsteller Mort RaineyFoto: Tele5

Dass da dieser Typ ist, der in einer Hütte im Wald haust und Selbstgespräche führt, wäre an sich nicht so der Knaller. Aber macht man diesen Kerl zum Romanautor mit Wollmütze und Karohemd, zurückgezogen im Scheidungsschmerz, vor dessen Tür auf einmal ein anderer Kerl der Gattung Waldschrat auftaucht und ihn des Plagiats bezichtigt, sieht die Sache schon anders aus. Vor allem, weil auf einmal Häuser brennen, Hunde und Menschen ermordet werden und keiner sonst diesen Fremden gesehen haben will.

Was dem Schriftsteller Mort Rainey (Johnny Depp) in „Das geheime Fenster“ widerfährt, ist der ganze Reigen klassischer Gruselmotive. Protagonist wie Zuschauer verlieren den Sinn fürs Reale und rutschen ab in Wahn. Wer es nicht längst ahnt, dieser sanfte Schocker von 2004 ist vom Meister der Schriftstellerthrillers: Stephen King hat mit diesem Drehbuch alle Doppelgängerregister gezogen, dass es die reinste Freude ist.

Aus Rainey, der stundenlang dem Cursor beim Blinken zuschaut, unrasiert, im Bademantel, Zigarette in der Hand, wenn er nicht gerade auf dem Sofa pennt, wird einer, der auf einmal in puren Überlebensaktionismus katapultiert wird. „Ich habe diese Story nicht geklaut“, murmelt er immer wieder, „glaube ich.“

Und Johnny Depp spielt diesen Autor im Wahn so umwerfend auf Kante, dass man sich vage daran erinnert, wie unfassbar gut man ihn im ersten Teil von „Fluch der Karibik“ als Captain Jack Sparrow, diese angetüterte Keith-Richards-Version, fand. Von John Turturro, der in „Das geheime Fenster“ den herrlich fiesen Erpresser spielt, ganz zu schweigen. Zu blöd, dass dessen Südstaatenschnüsseln nur im Original zu hören ist.

Dass diese Story ihr Grauen folternd langsam entfaltet, liegt nicht nur daran, wie der Film einen mit Musik, Sound, Schnitten im Ungefähren lässt, sondern auch am Kammerstückgefühl: die Hütte, das Dorf, beides jwd. Was man halt so braucht, damit es einen ordentlich schaudert. Und zum Glück all das, ohne dass die Gruselbausteine zu laut daherpoltern.

Regisseur David Koepp, der mit King das Drehbuch geschrieben hat, sitzt übrigens gerade an einem neuen Stoff. Diesmal hat er die Story mit Daniel Kehlmann (Sie wissen schon, „Die Vermessung der Welt“) entwickelt: Ein Drehbuchautor verkriecht sich in die Alpen. In eine einsame Hütte. Joa, klingt ’n büschen bekannt. Aber wenn das Ding nur halb so gut ist wie „Das geheime Fenster“, taugt’s allemal. Arbeitstitel: „Du hättest gehen sollen.“ Brrr.

„Das geheime Fenster“, So., 22.20 Uhr, Tele 5