Schnell Deutscher werden

Amanal Petros kam 2012 als unbegleiteter Jugendlicher aus Äthiopien und ist bei der EM in Berlin Deutschlands bester 10.000-Meter-Läufer, auch weil der favorisierte Richard Ringer aussteigen muss

Im Zeitplan: A. Petros Foto: dpa

Aus Berlin Markus Völker

10.000 Meter in der zähen Hitze von Berlin – Amanal Petros hat den Lauf am Dienstagabend vor 35.000 Zuschauern im Olympiastadion trotzdem genossen. Als er ins Ziel rannte, da animierte er das Publikum zu einem Jubelsturm. Gut, er kam nur auf Platz 16 von 32 Läufern ins Ziel, mit einer Zeit knapp über 29 Minuten. Europameister wurde der Franzose Morhad Amdouni in 28:11,22 Minuten. Aber Petros lief lange in der Spitzengruppe, erst vier Runden vor Schluss verlor er den Anschluss. Zweimal hatte er versucht, einen Wasserbecher zu greifen, zweimal misslang der Versuch. Erst beim dritten Mal erwischte er das Ding, um sich einen Schwapp in den Schlund und über den Kopf zu gießen. „Ich habe wirklich alles versucht, aber beim Wasserholen habe ich zu viel Kraft gelassen“, sagte er. „Da habe ich den Anschluss verpasst, die letzten 2.000 Meter waren zu heftig für mich.“

Der 23-Jährige hatte es immerhin besser gemacht als Mitfavorit Richard Ringer; im Feld der europäischen Elite hatte er die beste Zeit des Jahres vorzuweisen: 27:36.52 Minuten. Aber Ringer musste noch früher als Amanal Petros abreißen lassen; später stieg Deutschlands bester Langstreckler aus und sprach: „Das passiert halt leider, da war schnell der Mund trocken.“ Im Körper habe irgendwas nicht gestimmt. Ein Blutbild soll nun mehr Klarheit bringen. Darauf wird Petros verzichten können, auch wenn er nach der Extrembelastung erheblich schwankte. Zwanzig Minuten später war er wieder gut beisammen und erzählte von sich und seinen Plänen. Er möchte in zwei Jahren bei den Olympischen Spielen in Tokio starten, sagte er, was realistisch ist.

Sein Weg zu den fünf Ringen beginnt in Eritrea, in der Küstenstadt Assab. Er flieht mit der Mutter und zwei Schwestern nach Äthiopien, wächst dort auf. Mit 16 Jahren fällt er einen Entschluss, der alles verändern wird. Er geht allein nach Europa. „Ich bin nicht ohne Grund nach Deutschland gekommen“, sagt er, „ich hatte Schwierigkeiten, ich wollte einfach in Frieden leben ohne Probleme.“ Petros landet 2012 als sogenannter unbegleiteter Jugendlicher im Flüchtlingslager Espelkamp, wo schon nach dem Zweiten Weltkrieg Vertriebene aus dem Osten aufgenommen wurden. Wenig später nimmt ihn eine Pflegefamilie in Bielefeld auf.

Petros, der ein großes Kreuz um den Hals trägt, sucht Anschluss und Freunde. In einem Sportverein könnte das am besten klappen, denkt er sich und schließt sich dem TSVE Bielefeld an, gewinnt einige Volksläufe. Stützpunkttrainer Thomas Heidbreder vom SV Brackwede wird auf ihn aufmerksam. Schon 2013 nimmt Petros an der deutschen U18-Meisterschaft teil, wird zur Verblüffung aller Zweiter über 5.000 Meter. Und der schmale Kerl wird immer besser. Der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) forciert deswegen seine Einbürgerung. 2015 ist es so weit. Im deutschen Dress gewinnt er die Cross-EM, wird in den B-Kader eingegliedert.

Mit Siebenmeilenstiefeln hat er in nur drei Jahren geschafft, woran andere Migranten ein Leben lang verzweifeln: in Deutschland Papiere zu bekommen, mit denen ein unbegrenzter Aufenthalt möglich ist. Allerdings ist er weiterhin allein, die Familie ist in Äthiopien. Petros hat deswegen nach einem Familienersatz gesucht und Leute gefunden, die ihn, wie er sagt, „wie einen Bruder, wie ein Kind“ angenommen haben; zu seinen Freunden im DLV-Kader zählt er unter anderem Richard Ringer. „Am Anfang habe ich mich erst einmal auf die deutsche Sprache und die Mentalität konzentriert“, sagt er.

Kein Rassismusin Deutschland

Er hatte also einen Plan, und weil der so gut aufgegangen ist, sagt er relativ kompromisslos: „Es gibt keinen Rassismus in Deutschland, wenn etwas anderes behauptet wird, dann ist das eine Ausrede.“ Damit macht er sich bestimmt keine Freunde in der #MeTwo-Gemeinde, die auf Twitter über Diskriminierungen im Alltag berichtet, aber so ist nun mal seine Sicht der Dinge: Man kann hier vieles schaffen, wenn man sich nur anstrengt.

Auch zu einem anderen Thema hat er eine dezidierte Meinung: zur Blitzeinbürgerung von afrikanischen Lauftalenten. Die Türkei hat in dieser Beziehung Maßstäbe gesetzt. Im Berliner 10.000-Meter-Lauf sind drei Kenianer im türkischen Dress am Start: Kaan Kigen Özbilen, Polat Kemboi Arikan und Aras Kaja, die zum Teil gar nicht in der Türkei leben. Von dieser Art, Athleten zu „naturalisieren“ und den Medaillenspiegel zu schönen, hält Amanal Petros nichts: „Es tut mir leid, ich komme ja auch aus Afrika, aber ich finde das schrecklich, weil das keine Integration ist.“ Er weiß, wovon er spricht.